Die britische Automobil- und Chemieindustrie erlebt derzeit einen tiefgreifenden Strukturwandel. Dabei versucht das Vereinigte Königreich, das sich im Rahmen des Brexits von der EU getrennt hat, seinen eigenen Weg in die neue Ära des Welthandels zu gehen. Im Zollkrieg mit den USA hat sich London sogar vorteilhaftere Bedingungen als Brüssel gesichert. Mehr dazu hier.

Daten und Fakten zum Industrieland Vereinigtes Königreich

Anteil an der Wirtschaftsleistung

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) des Vereinigten Königreichs beträgt rund 3,1 Billionen US-Dollar. Das BIP pro Kopf liegt kaufkraftbereinigt bei etwa 54.800 US-Dollar (zum Vergleich: Deutschland 71.800 Euro, Österreich 73.000 Euro). Gemessen am BIP ist das Vereinigte Königreich die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt nach Japan und Indien und vor Frankreich und Italien. Den mit Abstand größten Anteil an der Bruttowertschöpfung hat der Dienstleistungssektor mit 72,8 Prozent, gefolgt vom verarbeitenden Gewerbe mit 16,7 Prozent. In der britischen Industrie sind 17,8 Prozent der Erwerbstätigen beschäftigt.

Britische Industriebranchen im Fokus

Neben dem dominierenden Dienstleistungssektor, insbesondere den Finanzdienstleistungen in London, zählen im Vereinigten Königreich die Hightech-Fertigung, die Pharmaindustrie, die Luft- und Raumfahrt, die Digitaltechnik, die Elektronik, die Öl- und Gasförderung – wenn auch schrumpfend –, die Automobilindustrie, die Chemieindustrie sowie die Lebensmittel- und Getränkeindustrie zu den wichtigsten Branchen. Auch für die Gesundheitswirtschaft und neue Energieformen wird die Bedeutung zunehmend größer.

Auch wenn inzwischen alle großen Unternehmen wie Mini und Rolls-Royce Motor Cars (BMW), Ford, Honda, Nissan, Vauxhall Motors (Opel), Jaguar Land Rover (Tata Motors), Toyota und Bentley (Volkswagen) in ausländischer Hand sind, ist die Automobilindustrie nach wie vor ein wichtiger Wirtschaftsfaktor.

In der Luft- und Raumfahrt zählen BAE Systems und Rolls-Royce zu den weltweit größten Unternehmen. Auch die Chemie- und Pharmaindustrie ist ein bedeutender Wirtschaftszweig: Zwei der zehn größten Pharmaunternehmen der Welt, GlaxoSmithKline und AstraZeneca, haben ihren Sitz im Vereinigten Königreich.

Automobilindustrie

Laut OICA ist das Vereinigte Königreich der sechzehnte größte Produktionsstandort für Pkw weltweit. Dabei ist Großbritannien vor allem ein Produktionshub, von dem aus rund 77 Prozent der hergestellten Pkw exportiert werden – größtenteils in die EU. Allerdings durchlebt die britische Automobilindustrie derzeit einen tiefen Strukturwandel.

Verantwortlich hierfür sind die durch den Brexit verursachte Unsicherheit in Verbindung mit den dadurch verschlechterten Handelsbedingungen, die Einschnitte durch die Coronapandemie sowie der zunehmende Wettbewerbsdruck seitens der chinesischen Konkurrenz im Zuge der Umstellung der Produktionsanlagen auf Elektromobilität.

Der Wandel hin zum Elektroauto schreitet in Großbritannien voran: 2024 stiegen die Neuzulassungen von vollelektrischen Autos im Vergleich zum Vorjahr um über 21 Prozent. Laut der Society of Motor Manufacturers and Traders (SMMT) wird sich dieser Trend auch 2025 und 2026 fortsetzen. Aber auch der Markt für Plug-in-Hybride und Hybride dürfte im Zweijahreszeitraum 2025–2026 um rund 13 bis 18 Prozent wachsen.

Chemieindustrie

Auch in der britischen Chemieindustrie herrscht weiterhin große Unsicherheit. Strukturelle Schwächen und ein schwieriges Marktumfeld sind seit Ende 2024 die Gründe für das rückläufige Produktionsniveau. Die Expertinnen und Experten von Oxford Economics prognostizieren für das Jahr 2025 zwar nur noch einen moderaten Produktionsrückgang von 0,2 Prozent. Dabei sind die möglichen Auswirkungen der US-Zollpolitik allerdings noch nicht berücksichtigt, sodass das Zukunftsbild weiterhin ungewiss bleibt – gerade auch, weil die Energie- und Arbeitskosten weiterhin hoch sind.

Für die Chemiebranche sind die Dekarbonisierung der Industrie und die Transformation großer Industriecluster wichtige Impulsgeber. Bis 2030 sollen vor allem in vier Clustern Technologien zur CO₂-Abscheidung und -Speicherung (CCS) zum Einsatz kommen. Mit dabei sind die Northern Endurance Partnership (NEP) an der Mündung des Flusses Tees im Nordosten Englands und das Cluster HyNet North West im Nordwesten Englands. Für beide Cluster sind staatliche Förderungen in Höhe von insgesamt rund 26 Milliarden Euro über einen Zeitraum von 25 Jahren vorgesehen.

Pharmaindustrie

Das Vereinigte Königreich ist nach Italien und vor Spanien der zweitgrößte Pharmamarkt der Welt und bietet gute Wachstumsperspektiven. Die Verhandlungen mit dem wichtigsten Abnehmer, dem staatlichen Gesundheitsversorger National Health Service (NHS), sind allerdings aufgrund der starken Konkurrenz schwierig.

Der wichtigste Vertriebsweg sind die Apotheken, die jedoch, wie Patientenverbände beklagen, langsam aussterben. Zwischen 2016 und 2024 ist ihre Anzahl um fast 8 Prozent geschrumpft. Davon profitieren vor allem unabhängige Anbieter, die mittlerweile rund 45 Prozent aller Geschäfte ausmachen.

Die britische Pharmaindustrie zählt zu den hochtechnologischen Schlüsselbranchen des Landes und beschäftigt rund 126.000 Fachkräfte an über 3.000 Produktionsstandorten und Forschungszentren. Durch die Präsenz weltweit agierender Konzerne wie GSK und AstraZeneca sowie durch renommierte Forschungscluster von Weltrang in Cambridge und Liverpool ist Großbritannien ein bedeutender Standort der Pharmaindustrie.

Außenhandel und Handelspartner

Das Wirtschaftswachstum im Vereinigten Königreich wird weiterhin durch den Brexit beeinflusst – insbesondere durch den Verlust des Zugangs zum europäischen Binnenmarkt und die ausbleibenden Vorteile durch bilaterale Handelsabkommen. Nach anfänglichen Einbrüchen hat sich das Handelsvolumen von Großbritannien mit der EU zwar wieder dem Vorniveau angenähert, allerdings bleibt Großbritannien weiterhin in einem hohen Handelsdefizit im Güterhandel mit der Europäischen Union stecken.

Durch den Verlust des Zugangs zum EU-Binnenmarkt zum Jahresbeginn 2021 behandelt die EU das Vereinigte Königreich nun als Drittstaat einschließlich der damit einhergehenden Zollbeschränkungen. Dabei spielt der Außenhandel für die britische Wirtschaft eine wichtige Rolle. Deutschland ist sowohl bei den Exporten als auch bei den Importen einer der wichtigsten Handelspartner. Weitere wichtige Export- und Importländer sind China, die USA, die Niederlande und Frankreich.

Aktuelle Wirtschaftslage

Als erstes Land, das noch im Mai 2025 ein Handelsabkommen mit den USA abschließen konnte, versucht das Vereinigte Königreich, seinen eigenen Weg in der neuen Ära des Welthandels zu gehen. Bei den Zollvereinbarungen mit den USA konnte das Vereinigte Königreich als eigenständiger Verhandlungspartner günstigere Bedingungen als die EU für die Luftfahrt- und Automobilindustrie – zwei strategisch wichtige Industriebranchen – erzielen. Ungeklärt sind allerdings noch Fragen rund um die Zukunft der Pharmaindustrie.

Deutsche Perspektive

Auch wenn sich die Handelsbeziehungen mit dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit erschwert haben, bleiben die Briten ein wichtiger außenwirtschaftlicher Partner Deutschlands und der EU. Gerade die zunehmenden geopolitischen Unsicherheiten machen die sechstgrößte Volkswirtschaft der Welt, die direkt an der Türschwelle zur EU liegt, zu einem besonders wichtigen Handelspartner.

Das Vereinigte Königreich ist das drittgrößte Zielland deutscher Nettoexporte. Eine erfolgreiche Exportstrategie auf der Insel trägt somit maßgeblich zum außenwirtschaftlichen Erfolg Deutschlands bei.

Konkrete Chancen für deutsche Unternehmen bestehen im wachsenden Offshore-Windenergiesektor, auf dem privaten Gesundheitsmarkt sowie im Infrastrukturbau. So plant etwa Copenhagen Infrastructure Partners einen Interkonnektor zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich, der 2,8 Milliarden Euro kosten soll.

Internationalisierung

Das Vereinigte Königreich ist de facto englischsprachig. In Wales, Schottland und Nordirland werden jedoch regional auch Walisisch, Gälisch und Irisch gesprochen. Englisch ist die am weitesten verbreitete Weltsprache und wird von rund 240 Millionen Menschen als Muttersprache gesprochen. Wie einige andere Sprachen, die in mehreren Ländern gesprochen werden – beispielsweise Spanisch, Italienisch, Französisch oder Deutsch – ist Englisch eine plurizentrische Sprache. Das bedeutet, dass es mehrere Varianten des Englischen gibt, die sich in Wortschatz, Aussprache und teilweise auch in der Grammatik leicht voneinander unterscheiden, aber nebeneinander existieren und alle als „offizielle“ Varianten derselben Sprache gelten.

Für die Internationalisierung ist Englisch ein klarer Vorteil, denn britische Konsumentinnen und Konsumenten sind für deutsche Unternehmen gut erreichbar. Trotz der leicht zu überwindenden Sprachbarriere bleibt die Übersetzung von Handbüchern, Bedienungsanleitungen, Konformitätserklärungen usw. eine besonders sensible Aufgabe. Schließlich hängt von ihr die Sicherheit der Maschinenbedienenden ab. Unternehmen sollten spezialisierte Fachübersetzerinnen und Fachübersetzer beauftragen, die selbst die komplexesten Fachtexte sicher in die Zielsprache übertragen können.

Doch die Übersetzung betrifft nicht nur das Bedienpersonal von Maschinen und Geräten. Neben technischen Dokumentationen müssen im Hinblick auf eine erfolgreiche Internationalisierung auch Werbetexte adaptiert werden, die sich direkt an Kunden richten und nicht nur Information, sondern auch Kaufanreiz sein sollen. Bei solchen Texten empfiehlt sich eine freie, kreative Übersetzung, um kulturelle Unterschiede zu meistern und nicht-sprachliche Aspekte zu berücksichtigen. Für eine verhandlungssichere Kommunikation mit Partnern und Kunden sind diese ebenfalls wichtig, so etwa die andere Währung und Maßeinheiten. Ob eine KI-Übersetzung eine realistische Alternative sein kann, hängt vom Einzelfall ab: Textsorte, Textmenge, Qualitätsniveau, Zielgruppe etc.

Import- und Zollbestimmungen

Was früher als innergemeinschaftliche Lieferung zwischen einem EU-Land und England abgewickelt wurde, gilt nach dem endgültigen Austritt des Vereinigten Königreichs aus Binnenmarkt und Zollunion als Ausfuhr in ein Drittland. Für deutsche Exporteure ergeben sich daraus grundlegende Änderungen, auch wenn das Ende 2020 zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU erzielte Handels- und Kooperationsabkommen in vielen Fällen Nulltarife vorsieht. Mehr dazu hier.

Eine Sonderlösung für den Warenhandel mit Nordirland ist das seit 2023 formell geltende Windsor-Rahmen. Dementsprechend verbleibt Nordirland in der EU-Zollunion und im Binnenmarkt. Waren, die nach Nordirland geliefert werden, unterliegen somit weiterhin den EU-Regeln, und es finden keine Zollkontrollen zwischen Nordirland und der EU statt. Der Warenverkehr zwischen der EU und Nordirland wird als innergemeinschaftlicher Verkehr behandelt.

Fazit

Seit dem Brexit sind die EU und das Vereinigte Königreich getrennte Wege gegangen. Für Deutschland und die EU ist das Vereinigte Königreich jedoch nach wie vor ein bedeutender Industriestandort – auch wenn die industrielle Revolution, die hier ihren Anfang nahm, Jahrhunderte zurückliegt und sich die Schlüsselindustrien heute fast alle in ausländischer Hand befinden. In vielen Schlüsselbranchen, wie der Automobil- und Chemieindustrie, herrscht große Unsicherheit. Die Umstellung auf Elektromobilität bedeutet für die britische Automobilindustrie einen tiefgreifenden Strukturwandel. Strukturelle Schwächen und ein schwieriges Marktumfeld sind seit Ende 2024 die Gründe für das rückläufige Produktionsniveau in der chemischen Industrie. Hier sind die Dekarbonisierung der Industrie und die Transformation großer Industriecluster jedoch wichtige Impulsgeber. Durch Megaprojekte wie den von Copenhagen Infrastructure Partners geplanten Interkonnektor zwischen Deutschland und dem Vereinigten Königreich in Höhe von 2,78 Milliarden Euro ergeben sich für deutsche Unternehmen möglicherweise konkrete Chancen. Auch die stark privatisierte Gesundheitswirtschaft ist für deutsche Anbieter attraktiv.



Quellen

Weiterführende Links


autor_eurotext_100Autor: Eurotext Redaktion

Wir erklären, wie Internationalisierung funktioniert, geben Tipps zu Übersetzungsprojekten und erläutern Technologien und Prozesse. Außerdem berichten wir über aktuelle E-Commerce-Entwicklungen und befassen uns mit Themen rund um Sprache.

 

Bitte beachten Sie: Auch wenn wir in unseren Beiträgen gelegentlich Rechtsthemen ansprechen, stellen diese keine Rechtsberatung dar und können eine solche auch nicht ersetzen. Wenn Sie konkrete Fragen haben, lassen Sie sich bitte von einem Anwalt beraten.