Der indische E-Commerce befindet sich auf einem aufsteigenden Wachstumspfad. Der Onlinehandel in Indien wird auf 25% des gesamten Einzelhandelsmarktes geschätzt und soll bis 2030 37% erreichen. Bis 2034 wird prognostiziert, dass Indien die USA überholt und zum zweitgrößten E-Commerce-Markt der Welt aufsteigt. Deshalb wollen wir in unserer Reihe „E-Commerce in…“ dieses Mal zeigen, welche Merkmale, Stärken und Chancen den E-Commerce in Indien kennzeichnen.

Zahlen & Fakten

Vom Himalaya im Norden bis zur ozeanischen Küste im Süden erstreckt sich Indien über eine Fläche von mehr als 3,2 Millionen km2. Damit umfasst das Land den größten Teil des indischen Subkontinents. Die parlamentarische Bundesrepublik in Südasien setzt sich aus 28 Bundesstaaten und 8 bundesunmittelbaren Gebieten zusammen und beheimatet mehr als 1,3 Milliarden Menschen unterschiedlicher Ethnie, Religion und Muttersprache. Wirtschaftlich gilt der Bevölkerungsgigant Indien als Schwellenland und gehört zu den O5- und BRICS-Staaten sowie zur Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20).

Mit einem Bruttoinlandsprodukt von 2,59 Billionen US-Dollar im Jahr 2020 ist Indien die fünftgrößte nominale Wirtschaftsmacht der Welt sowie die die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der G20-Gruppe. Aufgrund seiner enormen Bevölkerungszahl ist Indien allerdings auch eines der ärmsten Länder der Welt. Laut dem Index der menschlichen Entwicklung (HDI) erreicht Indien den Status „mittlere menschliche Entwicklung“ und lag im Jahr 2019 auf Rang 129 von 189 weltweit. Trotz innenpolitischer Herausforderungen und wirtschaftlicher Ungleichheit zeigen sich der zunehmende Wohlstand und die kulturelle Dynamik des heutigen Indiens in seiner gut entwickelten Infrastruktur und industrieller Basis, im Pool an Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie an Expertinnen und Experten im Bereich der Technik, in der schnellen landwirtschaftlichen Expansion und in den kulturellen Exporten seiner Musik- und Kinoindustrie.

Die Bevölkerung Indiens bleibt weitgehend ländlich. Dennoch hat Indien drei der bevölkerungsreichsten und kosmopolitischsten Städte der Welt – Mumbai (18,4 Millionen), Delhi (16,3 Millionen) und Kolkata (14 Millionen). Die meisten der weltweit größten Unternehmen in den Bereichen Informationstechnologie und Softwareentwicklung haben inzwischen Büros in Indien. Die indischen Städte Bengaluru, Chennai und Hyderabad gehören zu den am schnellsten wachsenden High-Tech-Zentren der Welt.

Fast hundert Jahre lang gehörte Indien dem britischen Kolonialreich an. Durch die britische Verwaltung kam es zu einer politischen und wirtschaftlichen Vereinheitlichung des indischen Subkontinents. Als die britische Herrschaft 1947 zu Ende ging, trennte sich das mehrheitlich von Hindus bewohnte Indien vom muslimisch geprägten Pakistan. Viele britische Institutionen, darunter das parlamentarische Regierungssystem, blieben allerdings erhalten und prägen das heutige Indien immer noch. Auch nach seiner Unabhängigkeit blieb Indien im Commonwealth. Somit gilt die in der Kolonialzeit eingeführte englische Sprache – neben Hindi – weiterhin als Amtssprache der indischen Bundesrepublik.

Im indischen Subkontinent koexistieren unzählig viele Ethnien und Sprachen. Eine Nationalsprache gibt es nicht. Die meisten Sprecherinnen und Sprecher haben eine indoarische Sprache als Muttersprache. Hierzu gehören zum Beispiel die Sprachen Hindi, Bengali und Urdu. Zusammengezählt machen die Sprecherinnen und Sprecher dieser drei Sprachen ca. 80% der Bevölkerung aus. Mit ungefähr 40% der Sprecherinnen und Sprecher ist Hindi die am meisten gesprochene Muttersprache im indischen Subkontinent. Im Süden Indiens werden dravidische Sprachen, vor allem die Sprachen Telugu, Tamil und Kannada gesprochen. Etwa 20% der indischen Bevölkerung spricht eine dravidische Sprache als Muttersprache. Weitere Minderheitssprachen gehören der austroasiatischen und tibetobirmanischen Sprachfamilie. Insgesamt zählt die indische Regierung 121 Sprachen. Von diesen werden 22 von der indischen Verfassung anerkannt. Die englische Sprache spielt im indischen Subkontinent eine entscheidende Rolle als gemeinsame Verkehrssprache und ermöglicht die Kommunikation unter den Sprecherinnen und Sprechern unterschiedlicher Muttersprachen.

Die indische Rupie (INR) unterteilt sich in 100 Paise. Die indische Währung wird auch in anderen Ländern außerhalb Indiens als Zahlungsmittel akzeptiert, darunter Bhutan, Nepal und Simbabwe. Aktuell entspricht eine indische Rupie 0,011 Euro.

Wer nach Indien aus Deutschland ankommt, muss die Uhr 3,5 Stunden nach vorne stellen. Eine Umstellung auf Sommerzeit gibt es in Indien anders als in Deutschland nicht.

Trends & Einblicke

Angetrieben durch die steigende Smartphonepenetration, die Einführung des 4G-Netzes und den zunehmenden Wohlstand der Verbraucherinnen und Verbraucher, soll der indische E-Commerce-Markt von 38,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2017 bis 2026 auf 200 Milliarden US-Dollar anwachsen. Eine junge, digitalaffine Bevölkerung, eine zunehmende Internet- und Smartphonepenetration und eine dynamische Wirtschaft sind einige wichtige Treiber des indischen E-Commerce.

Im Hinblick auf die Internetpenetration gibt es in Indien wesentliche Unterschiede zwischen den größeren Städten wie Delhi, Mumbai und Kolkata und den ländlichen Gebieten des Landes. Hier kann sich das Internet nur langsam etablieren. Dennoch zeigt Indien insgesamt eine der höchsten Internetpenetrationsraten weltweit. Es wird geschätzt, dass die Anzahl der aktiven Internetnutzerinnen und -nutzer in Indien jeden Monat um etwa 10 Millionen zunimmt. Von 100 Inderinnen und Indern besaßen im Jahr 2014 nur 5,4 ein Smartphone. 2018 waren es bereits 26,2. Inzwischen besitzt jede dritte Person in Indien ein Smartphone. Trotzdem ist Indien noch keine „mobile first“-Wirtschaft: 56% der Onlineshopperinnen und -shopper in Indien tätigen Ihre Käufe am PC. Das Smartphone ist für nur 29% der Königsweg zum Onlinekauf, während die restlichen 15% der Onlinekäufe über andere mobile Geräte, insbesondere Tablets, abgeschlossen werden.

Im Internet surfen in Indien mehrheitlich männliche Nutzer. Nur etwa 30% der Internetnutzerinnen und -nutzer sind Frauen. Nach Angaben der indischen Regulierungsbehörde TRAI (Telecom Regulatory Authority of India) liegt die Zahl der Smartphonenutzerinnen und -nutzer bei über 300 Millionen. Somit hat Indien die USA überholt und ist nun der zweitgrößte Markt für Smartphones nach China. Google ist mit einem Marktanteil von 97,6% die mit Abstand am meisten genutzte Suchmaschine, gefolgt von Bing (1,4%) und Yahoo (0,9%).

Kleidung befindet sich auf Platz 1 in der Liste der Produktkategorien, die im Land am meisten digital verkaufen, gefolgt von Elektronik, Einrichtungsgegenständen und Unterhaltung. Der indische E-Commerce zieht zunehmend Kundinnen und Kunden aus kleineren und peripheren Städten an, in denen die Menschen nur begrenzten Zugang zu Marken haben aber hohe Ansprüche stellen. Den Schätzungen der Associated Chambers of Commerce of India zufolge habe die Zahl der Onlinekäuferinnen und -käufer im Jahr 2017 die Marke von 100 Millionen überschritten. Im vorigen Jahr waren sie nur noch 69 Millionen.

Bis 2016 wurde in Indien noch bei 45% der Onlinekäufe per Nachnahme bezahlt. Diesen Trend hat die indische Regierung im November 2016 versucht zu ändern, indem die Kreditkarte als Zahlungsmittel gefördert wurde. Die Abkehr vom Bargeld zeigt sich in der steigenden Anzahl der Zahlungen mit Kreditkarten und mobilen Wallets. Eine weitere bargeldlose Zahlungsmöglichkeit, die sich im indischen E-Commerce zunehmender Beliebtheit erfreut, ist das von der National Payments Corporation of India (NPCI) entwickelte Aadhaar Enabled Payment System (AePS). Mit AePS können Nutzerinnen und Nutzer Geldtransaktionen durch Angabe einer Aadhaar-Nummer tätigen und den digitalen Zahlungsvorgang nach erfolgter biometrischer Verifizierung freigeben.

Stärken & Chancen

Für Nutzerinnen und Nutzern in den Städten stellt das Internet in erster Linie die Chance dar, online zu kommunizieren. Menschen in den ländlicheren Gebieten des Landes reizt hingegen vor allem vom Unterhaltungspotential des Internets.

Vor allem günstigere Preise würden die meisten indischen Verbraucherinnen und Verbraucher zum Onlinekauf animieren, sowie die Möglichkeit, die das Internet bietet, auf einen erweiterten Warenkorb zuzugreifen. Indische Verbraucherinnen und Verbraucher, die über ein höheres Einkommen verfügen, zeigen sich an internationalen Marken und qualitativ besseren ausländischen Produkten interessiert.

Somit wächst der grenzüberschreitende E-Commerce im Bereich B2C schnell. Automobile, Kleidung, Schmuck, Kosmetika, Gesundheits- sowie digitale Unterhaltungsprodukte und Bildungsdienstleistungen sind verantwortlich für die meisten internationalen Einkäufe durch indische Verbraucherinnen und Verbraucher. Auch im B2B-Bereich wächst der indische E-Commerce stetig. Im Jahr 2020 wurde hier ein Volumen von 700 Milliarden US-Dollar geschätzt. Damit steckt im indischen E-Commerce mit Fokus auf Gewerbetreibende ein enormes Potential. Um dieses Potential zu erschließen, haben führende B2B-Unternehmen begonnen, eigene Plattformen für Kleingewerbe und Händler aufzubauen.

Der indische E-Commerce ist hart umkämpft, denn hier konkurrieren internationale Marktplatzbetreiber wie Amazon, eBay, Alibaba und andere mit einheimischen Marktplatzbetreibern wie Flipkart, Snapdeal und TataCliq. Seit 2014 hat die indische Regierung verschiedene Initiativen angekündigt, um den E-Commerce und die Internetnutzung im Allgemeinen voranzutreiben, darunter Digital India, Make in India, Start-up India, Skill India und Innovation Fund. Technologiegestützte Innovationen wie digitaler Zahlungsverkehr, hyperlokale Logistik, analytikgestützte Kundenbindung und digitale Werbung sind alle Fürsprecher des indischen E-Commerce. Durch die Digitalisierung haben sich außerdem neue Geschäftsmodelle entwickelt, die auf Inventarisierung, sozialen Netzwerken, Aggregatoren und digitalen Marktplätzen aufbauen.

Andererseits bilden hohe Versandkosten, teure Einfuhrzölle und das nicht immer unkomplizierte Verfahren zur Rückgabe und zum Umtausch von Waren die größten Hindernisse, die das Wachstum des grenzüberschreitenden E-Commerce in Indien einschränken.

Einfuhrzölle, Besteuerung & Importverfahren

Der Import von Waren nach Indien kann teuer werden. Einfuhrzölle auf industrielle Waren variieren zwischen 7,5% und 20%. Der Prozentsatz kann sich noch erhöhen, etwa bei Automobilen und Krafträdern. Für diese Produktkategorie gelten Einfuhrzölle von bis zu 100%. Zudem haben Importeure eine Sozialabgabe in Höhe von 10% vom Zollbetrag zu entrichten.

Gewerbliche Waren unterliegen einer Umsatzsteuer vom 18%. Allerdings gibt es auch hier Ausnahmen. Für Pkw-Ersatzteile, zum Beispiel, gilt ein erhöhter Steuersatz von 28%. Landwirtschaftliche Waren hingegen unterliegen einem reduzierten Steuersatz von 5%.

Zu beachten ist auch, dass nicht alle Waren nach Indien importiert werden dürfen. Das Directorate General of Foreign Trade (DGFT) unterliegt dem Ministerium für Handel und Industrie der indischen Regierung und ist für die Erstellung und die laufende Aktualisierung der Liste der Waren verantwortlich, die nur mit Genehmigung ins Land eingeführt werden dürfen. Dazu gehören beispielsweise Marmor, Granit und Aschen, aber auch bestimmte chemische Erzeugnisse. Lab und Labkonzentrate, rotes Sandelholz, Goldmünzen sowie Waren aus Elfenbein dürfen hingegen nicht importiert werden.

Um Waren ins Land einführen zu dürfen, müssen Importeure beim DGFT registriert sein. Mit der Zollanmeldung werden Waren zum zollrechtlich freien Verkehr bzw. für das Zolllagerverfahren angemeldet. Die Anmeldung hat spätestens ein Tag nach Eintreffen der Waren zu erfolgen.

Fazit

Im indischen E-Commerce steckt ein riesiges Potential. Dieses kann sich allerdings nur vollständig entfalten, wenn auch die periphere Bevölkerung in den kleineren Städten Indiens sich aktiv am Digitalisierungsprozess beteiligt. Dazu muss zunächst das Internet dort zugänglich gemacht werden, wo es noch fehlt. Der weitere Schritt besteht darin, die ärmere, bisher am wenigsten internetaffine Bevölkerung zunehmend digital zu alphabetisieren, um in der Folge die Etablierung von digitalen Geschäftsmodellen zu ermöglichen. Händler sollen daran arbeiten, ihre Kundinnen und Kunden mehr zu binden. Dies soll in erster Linie über eine grundsätzliche Verbesserung des Service erfolgen, insbesondere durch schnellere und günstigere Lieferungen sowie durch einfachere Verfahren zur Rückgabe und zum Umtausch von Waren. Unternehmen, die bereit sind, die gesellschaftliche Diversität des indischen Subkontinents zu berücksichtigen, und ihre Kundinnen und Kunden durch ein zuverlässiges, preislich kompetitives Service sowie durch die Qualität ihrer Produkte an sich binden, haben in Indien gute Chancen, erfolgreich am lokalen Markt einzusteigen.



Quellen

 


autor_eurotext_100Autor: Eurotext Redaktion

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