Mit einem erwarteten Umsatz von 166 Mrd. USD im Jahr 2023 ist das Vereinigte Königreich der größte E-Commerce-Markt in Europa. In diesem Artikel wollen wir aber nicht auf das Vereinigte Königreich insgesamt eingehen, sondern wir fokussieren uns auf den Landesteil Wales, seine Wirtschaft und die Besonderheiten, die die keltische Nation an der westlichen Küste der Insel Großbritannien für ausländische Investitionen interessant machen. Welche Merkmale, Stärken und Chancen die walisische Wirtschaft im Bezug auf den Onlinehandel kennzeichnen, zeigen wir hier.

Zahlen & Fakten

Die keltische Nation Wales liegt im Westen der Insel Großbritannien und ist geprägt von einer zerklüfteten Landschaft, die ihr einen sanften und rauen Aspekt zugleich verleiht. Mit einer Fläche von 20.735 km2 ist Wales etwas kleiner als Hessen und der kleinste Landesteil des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland. In Wales leben allerdings nur etwa halb so viele Menschen wie in Hessen, nämlich etwas über 3 Millionen Menschen. Von diesen leben etwa vier Fünftel in städtischen Gebieten, zwei Drittel im Süden von Wales, viele andere im Nordosten. Der Süden von Wales ist nach wie vor die am dichtesten besiedelte und am stärksten industrialisierte Region des Landes. Sie ist in mehrere städtische Verwaltungsgebiete unterteilt, darunter die Hauptstadt Cardiff (335.000) und die Großstädte Swansea (246.000) und Newport (128.000).

Im Norden und Westen grenzt Wales an die Irische See, im Süden an den Bristolkanal. Straßen- und Eisenbahnbrücken kreuzen die abwechslungsreiche walisische Landschaft, die von weitläufigen Wiesen, sanften Hügeln, düsteren Mooren und zerklüfteten Bergen geprägt ist, und verbinden Wales mit dem Festland und dem Nachbarland England im Osten. Von Norden nach Süden erstreckt sich das Land über etwa 210 km, die walisische Küstenlinie misst 970 km.

An die Zeit, zu der Wales eines der bedeutendsten politischen und kulturellen Zentren des keltischen Europas war, erinnern die vielen Traditionen, von denen die bedeutendste die walisische Sprache ist, die vor allem im Landesinneren von etwa einem Fünftel der Bevölkerung noch heute gesprochen wird und dazu beiträgt, die hier heimische keltische Kultur lebendig zu halten. Dadurch hat sich Wales kulturelle Aspekte bewahrt, die sich deutlich von denen seiner englischen Nachbarn unterscheiden. Dennoch wurde es England unterworfen und durch den Act of Union von 1536 formell mit dem Königreich England verbunden.

1997 verlieh die britische Regierung Wales ein gewisses Maß an Autonomie durch die Schaffung der Walisischen Versammlung und der derzeitigen Verwaltungsstruktur, die das Land in 22 Bezirke bzw. Unitary Authorities teilt, die die Entscheidungsbefugnis für sämtliche Verwaltungsaufgaben auf lokaler Ebene besitzen. Im Hinblick auf ihren Verwaltungsstatus herrscht unter den Bezirken Gleichheit, dennoch unterscheiden sie sich aus historischen Gründen manchmal in ihrer amtlichen Bezeichnung. Verbunden sind sie hingegen durch die walisischen Sprache.

In Wales, ähnlich wie in Südtirol, sind viele Verwaltungsorgane zweisprachig. 1993 wurde der Welsh Language Act verabschiedet, der die Gleichstellung von Walisisch und Englisch in Wales grundsätzlich festschrieb. Darüber hinaus wurde das Welsh Language Board eingerichtet, um „den Gebrauch der walisischen Sprache zu fördern und zu erleichtern“, und es wurden Mindeststandards für den Gebrauch des Walisischen durch öffentliche Einrichtungen wie Stadtverwaltungen, Polizei, Feuerwehr und Gesundheitsbehörden sowie Schulen festgelegt.

Wie im Rest des Vereinigten Königreichs ist die Währung in Wales das Pfund Sterling (GBP). Die Bank of England, die Zentralbank des Vereinigten Königreichs, ist unter anderem für die Ausgabe der Währung zuständig. Seit 1980 befindet sich die Royal Mint, die britische Münzprägeanstalt, in Llantrisant im Süden von Wales. Die britische Währung unterteilt sich in 100 Pennies, auch Pence genannt. Aktuell (12.05.2023) entspricht 1 Pfund Sterling 1,15 Euro.

Trends & Einblicke

Die walisische Wirtschaft ist eng mit der des Vereinigten Königreichs und des weiteren Europäischen Wirtschaftsraums verbunden, auch nach dem Brexit. Im Jahr 2020 belief sich das Bruttoinlandsprodukt in Wales auf 75,7 Mio. GBP. Damit ist die walisische Wirtschaft die zehntgrößte der zwölf Regionen des Vereinigten Königreichs, die neben den neun englischen Government Office Regions auch Wales, Schottland und Nordirland umfassen, und kommt nur noch vor Nordirland und dem Nordosten Englands.

Die bescheidene Leistung der walisischen Wirtschaft ist größtenteils auf die niedrige Beschäftigungsquote und die niedrigen Durchschnittslöhne zurückzuführen, die sich aus einer Großzahl von Personen mit geringer oder keiner Qualifikation, dem Fehlen eines großen wirtschaftlichen Ballungsraums und einem relativ hohen Anteil von Menschen im Rentenalter ergeben. Die Kluft zwischen der Beschäftigungsquote in Wales und dem Vereinigten Königreich insgesamt hat sich jedoch geschlossen, wobei inzwischen in Wales sogar weniger Menschen nach Arbeit suchen als im nationalen Durchschnitt: während die Arbeitslosenquote in Wales im Jahr 2022 bei 3,4 % lag, liegt sie im gesamten Vereinigten Königreich bei 3,8 %.

Bis in die späteren Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts baute die walisische Wirtschaft hauptsächlich auf Landwirtschaft und Schwerindustrie auf. Kohlebergbau, Ölraffination und Fertigung waren traditionell die wichtigsten Industriebereiche. Im 20. Jahrhundert gab es eine Trendwende. Der Anteil der Schwerindustrie an der Gesamtwirtschaft des Landes ging stark zurück und die Dienstleistungen nahmen massiv zu. Der öffentliche Sektor hingegen leistet insbesondere in Bereichen wie Gesundheit und Bildung nach wie vor einen großen Beitrag zum BIP. Auch hier war allerdings in den letzten zehn Jahren ein Gegentrend zu verzeichnen, denn die Privatwirtschaft wuchs schnell und beschäftigt heute mehr Menschen als der traditionell stärkere öffentliche Sektor.

Wales weist einige bedeutende regionale Unterschiede in seiner Wirtschaftsstruktur und -leistung auf. Die Hauptstadt Cardiff, der nördliche und südliche Küstengürtel und auch einige ländliche Teile von Wales haben den größten Beschäftigungszuwachs erfahren, während die Täler im Süden des Landes, die traditionell vom Bergbau abhängig sind, einen Rückgang erlitten. Im Allgemeinen sind Beschäftigung und Verdienst in städtischen Gebieten und im Osten von Wales dank der guten Wirtschaftsbeziehungen zu den Regionen Bristol, West Midlands und London höher.

Im Zuge der National Survey for Wales 2018-19 wurden Waliserinnen und Waliser befragt, ob ihr Haushalt Zugang zum Internet hat, ob sie selbst das Internet nutzen und mit welcher Häufigkeit. Die Umfrage ergab, dass 2019 87 % der Haushalte Zugang zum Internet haben. Bis Ende 2020 stieg diese Zahl auf 94%.

Nach den neuesten Zahlen aus dem Jahr 2023 gelten dabei trotzdem noch immer 7% der walisischen Bevölkerung als digital ausgeschlossen. Die Daten stimmen im Großen und Ganzen mit denen der Umfrage „Internet users, UK: 2019“ des britischen Office for National Statistics überein, aus der hervorging, dass 90 % der Waliserinnen und Waliser ab 16 Jahren mindestens einmal im vorangegangenen Quartal online waren. Damit liegt Wales zwar etwas hinter dem Rest des Vereinigten Königreichs zurück, im europäischen Vergleich nutzen aber dennoch sehr viele Waliserinnen und Waliser das Internet.

Die Nutzung variiert dabei stark zwischen verschiedenen Altersgruppen: 98 % der 16- bis 49-jährigen Waliserinnen und Waliser surfen im Internet. Unter den 50- bis 64-Jährigen sinkt der Wert auf  91 %, unter den 65- bis 74-Jährigen weiter auf 79 %. Des Weiteren ergab die Umfrage, dass 90 % der Männer im Vergleich zu 87 % der Frauen das Internet nutzen. Besonders auffällig ist dieser Trend in der Altersgruppe ab 65 Jahren: 69 % der Männer ab 65 Jahren nutzen das Internet im Vergleich zu 62 % der Frauen.

Im Hinblick auf die Nutzung von Festnetz-, Mobilfunk- und Breitbanddiensten waren in Wales 2017 keine großen Unterschiede zum Vereinigten Königreich insgesamt festzustellen. Erwachsene Waliserinnen und Waliser besaßen 2017 so viele PCs und Tablets wie ihre Nachbarn. Allerdings gaben nur 58% von ihnen an, lieber von ihrem Smartphone aus im Internet zu surfen, im Gegensatz zum britischen Durchschnitt von 66%. Landesintern ergab die Umfrage zwei weitere signifikante Trends bei der Nutzung von Onlinediensten und smarten Geräten, nämlich im Vergleich zwischen städtischen und ländlichen Gebieten in Wales. Waliserinnen und Waliser in städtischen Gebieten gaben an, die mobile Telefonie gegenüber dem Festnetzt zu bevorzugen, während in vielen Haushalten auf dem Land das Festnetztelefon immer noch eine große Rolle spielt.

Mit einem Marktanteil von 92,21 % im April 2023 ist Google die beliebteste Suchmaschine im Vereinigten Königreich, gefolgt von Bing (5,54 %) und Yahoo! (0,76 %). Wales folgt hier dem britischen Trend.

Das umsatzstärkste Unternehmen ist in Wales, wie so oft, Amazon: Der Online-Gigant verkaufte 2021 in Wales Waren im Gesamtwert von knapp 17,1 Milliarden USD. Darauf folgen, jeweils mit weniger als der Hälfte des Umsatzes von Amazon, die Websites der britischen Supermarktketten Tesco und Sainsbury’s sowie jene von Sainsbury’s Tochterunternehmen Argos.

Die Zahlung per Debitkarte war im Jahr 2022 die beliebteste und die meistgenutzte Zahlungsmethode für E-Commerce-Einkäufe: 36% der Kunden bevorzugen die Zahlung per Debitkarte. Dahinter liegen PayPal mit 27%, die Zahlung per Kreditkarte mit 16% und Apple Pay mit 13%.

Stärken & Chancen

Die walisische Wirtschaft spiegelt im Allgemeinen die Trends und Muster des Vereinigten Königreichs wider. Allerdings ist in Wales die Anzahl der Beschäftigten in der Land- und Forstwirtschaft sowie im verarbeitenden Gewerbe höher als im Rest des Vereinigten Königreichs, in Finanz- und Unternehmensdienstleistungen ist hingegen ein Gegentrend festzustellen. Es gibt aktive ausländische Investitionen in der walisischen Industrie, insbesondere in den Hochtechnologiebranchen, dennoch liegen das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf und die Beschäftigungsquoten von Wales weit unter dem Durchschnitt des Vereinigten Königreichs.

Die verarbeitende Industrie macht fast ein Drittel des walisischen BIP aus. Verbesserungen in der walisischen Transportinfrastruktur trugen dazu bei, dass im Süden und Nordosten von Wales eine diversifizierte industrielle Produktion entstand, an der auch ausländische Unternehmen beteiligt sind, die sich auf Elektro-, Automobil- und Chemieprodukte spezialisiert haben. Lebensmittel, Metalle und Metallprodukte, Getränke und optische Geräte sind ebenfalls wichtig. Finanz- und Unternehmensdienstleistungen, der öffentliche Sektor, vor allem Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen, das Hotel- und Gaststättengewerbe und der Handel machen mehr als die Hälfte des BIP und fast zwei Drittel der Arbeitsplätze in Wales aus. Die meisten Dienstleister konzentrieren sich in der Hauptstadt Cardiff und in den anderen städtischen Gebieten des Landes. Eine weitere wichtige Einnahmequelle ist der Tourismus, besonders in den Nationalparks im Hochland und an der Küste.

Im Jahr 2022 war Deutschland erstmals nicht mehr der größte Exportmarkt für walisische Produkte – auch hier zeigen sich die Folgen des Brexits. Stattdessen werden nun mehr Güter in die USA und nach Irland exportiert, erst danach kommen Deutschland, Frankreich und das Benelux. Damit bleibt die EU aber trotzdem noch ein zentraler Handelspartner der walisischen Wirtschaft, fast 60% der Exporte gingen dorthin.

Maschinen und Geräte zur Energieerzeugung waren 2020 die Produktkategorie mit dem höchsten Exportwert, gefolgt von Erdöl und Erdölprodukten und von Transportgeräten mit Ausnahme der Straßenfahrzeuge. Darauf folgen Eisen und Stahl und medizinische und pharmazeutische Produkte.

Was die Branchen im E-Commerce angeht, haben die Briten einen klaren Favoriten: 63 % der britischen Konsumentinnen und Konsumente kauften im Jahr 2022 Kleidung und Sportartikel online, die somit auf Platz 1 in der Liste der am meisten digital verkauften Produktkategorien im Vereinigten Königreich landen. Dahinter liegen Schuhe, die von 47 % der Konsumenten im Internet gekauft wurden. Darauf folgen Elektronik, Bücher und Lebensmitteln, die alle jeweils von knapp einem Drittel der Briten online erworben worden.

Zoll & Brexit

Seit dem 1. Januar 2021 gehört das Vereinigte Königreich nicht mehr dem Binnenmarkt und damit auch nicht mehr der gemeinsamen EU-Zollunion an; das einzige davon ausgenommenene Gebiet ist Nordirland, dass hinsichtlich des Warenverkehrs weiter wie ein Bestandteil der EU behandelt wird. Wales, genauso wie England, Schottland, die Kanalinseln und die Isle of Man gelten nun aber als Nicht-EU-Staaten. Ende 2020 einigten sich die EU und das Vereinigte Königreich allerdings auf ein Handels- und Partnerschaftsabkommen, das ebenfalls am 1. Januar 2021 in Kraft trat und den zollfreien und mengenmäßig unbegrenzten Warenverkehr vorsieht, sofern die Waren nachweislich bestimmte Voraussetzungen erfüllen.

Unter anderem wird der neue Status des Vereinigten Königreichs dazu führen, dass alle Importe und Exporte Zollformalitäten unterliegen werden. Konkret müssen Waren Ursprungsregeln einhalten, um sich für eine Zollpräferenzbehandlung im Rahmen des Abkommens zu qualifizieren, zudem müssen alle Importe in die EU alle EU-Standards erfüllen und werden behördlichen Überprüfungen und Kontrollen für Sicherheit, Gesundheit und andere öffentliche Zwecke unterzogen.

Auch der E-Commerce wird davon betroffen, denn Waren, die von den Konsumentinnen und Konsumenten online im Vereinigten Königreich bestellt werden, unterliegen ab dem 1. Januar 2021 Zollformalitäten und -kontrollen und es können Zoll und Einfuhrumsatzsteuer, eventuell auch Verbrauchsteuern, anfallen: Seit dem 1. Juli 2021 sind alle Waren einfuhrumsatzsteuerpflichtig, unabhängig von ihrem Wert. Zoll muss zusätzlich ab einem Warenwert von 150 Euro entrichtet werden. Die Höhe der Zollabgaben richtet sich nach der Ware selbst, dem Wert sowie dem Ursprungsland der Ware. (bmf.gv.at, letzter Zugriff am 15.05.2023)

Fazit

Für deutsche Onlinehändler ist Wales in etwa so interessant wie der Rest des Vereinigten Königreiches: Es gibt eine relativ große Zielgruppe, die mit dem Einkauf im Internet vertraut ist und dabei auch gerne im Ausland einkauft. Allerdings ist durch den Brexit der Handel deutlich komplizierter und aufwändiger geworden. Ob sich dieser Aufwand am Ende wirtschaftlich lohnt oder ob man das Geschäft der sehr professionellen und gut etablierten Konkurrenz vor Ort überlässt, muss am Ende jeder Händler für sich entscheiden.



Quellen

 


autor_eurotext_100Autor: Eurotext Redaktion

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