Ein Spannungsfeld zwischen dem Streben nach Inklusion, Diversität und Gleichberechtigung einerseits und der Frage nach einem möglicherweise künstlichen Eingriff in die Sprache andererseits: Die Debatte um geschlechtergerechte Sprache, im Italienischen unter ‘linguaggio inclusivo‘ oder ‘scrittura inclusiva‘ bekannt, ist in Italien ein vieldiskutiertes Thema. Dieser Blog-Beitrag widmet sich der Haltung Italiens und der Schweiz zur geschlechtergerechten Sprache, beleuchtet verschiedene Formen des inklusiven Sprachgebrauchs im Italienischen und analysiert insbesondere deren Vor- und Nachteile im Kontext von Übersetzung und E-Commerce.

Debatte im italienischsprachigen Raum

Die Diskussion um eine geschlechtergerechte Sprache hat im italienischsprachigen Raum in den letzten Jahrzehnten an Bedeutung gewonnen. Die Debatte ist in Italien keineswegs neu, denn Persönlichkeiten wie Alma Sabatini haben bereits in den 1980er Jahren das Bewusstsein für sprachliche Gleichbehandlung geschärft. Neuen Auftrieb erhielt die Diskussion jedoch Ende 2022 durch die Veröffentlichung eines offiziellen Textes des italienischen Bildungsministeriums, in dem das Zeichen „schwa“ (ǝ) für geschlechtsneutrale Formulierungen verwendet wurde. Die Verwendung dieses Zeichens löste heftige Reaktionen aus und Ablehnung, auch seitens der Sprachwissenschaft, die in diesem eine Gefahr für die sprachliche und kulturelle Entwicklung sahen. Auch die Accademia della Crusca als Hüterin der italienischen Sprache hat sich gegen diese und andere sprachliche Genderzeichen ausgesprochen, befürwortet aber die Verwendung weiblicher Berufsbezeichnungen, die im Italienischen teilweise noch unüblich sind.

Denn in Italien ist die Frage der geschlechtergerechten Sprache nach wie vor eng mit der Debatte um politische und berufliche Titel verbunden. Trotz Fortschritten in der Gleichberechtigung werden in Italien immer noch häufig männliche Berufsbezeichnungen verwendet, auch wenn Frauen diese Berufe ausüben. Im Gegensatz dazu gibt es in der Schweiz seit langem etablierte weibliche Bezeichnungen für politische Ämter. Hier zeigt sich ein gewisser kultureller und sprachlicher Konservatismus in Italien.

Im Vergleich dazu wird die sprachliche Gleichbehandlung in der Schweiz seit fast 30 Jahren aktiv gefördert. 1996 veröffentlichte die Bundeskanzlei den “Leitfaden zur sprachlichen Gleichbehandlung”, 2003 folgten weitere Vorschläge in der “Istruzione della Cancelleria federale per la redazione di testi ufficiali in italiano” und mit dem 2007 verabschiedeten Sprachengesetz wurde die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern sogar auf Gesetzesstufe verankert. Unterstützt werden diese Bestrebungen auch durch Richtlinien in verschiedenen Kantonen, Universitäten setzen sich aktiv für eine inklusive Sprache ein, ebenso einige Zeitungen. Trotz dieser Bemühungen gibt es aber auch Skepsis gegenüber einer geschlechtergerechten Sprache, insbesondere im Hinblick auf die Einführung von orthographischen und syntaktischen Zeichen, die zu einer uneinheitlichen und verwirrenden Sprache führen könnten. Wie man sieht, ist Italienisch nicht gleich Italienisch, und die sprachlichen Veränderungen hängen mit dem kulturellen, historischen und politischen Kontext des jeweiligen italienischsprachigen Gebiets zusammen.

Formen des geschlechtergerechten Sprachgebrauchs im Italienischen

Wie im Spanischen, Französischen und Deutschen wird auch im Italienischen aufgrund grammatikalischer Konventionen häufig das sogenannte generische Maskulinum (il maschile inclusivo) verwendet, um gemischte Gruppen oder ein allgemeines Publikum zu bezeichnen, z. B. bei Begriffen wie „Leser“ oder „Kunde“. Nur die grammatikalisch männliche Form „lettore“ oder „lettori“ wird üblicherweise verwendet, um eine Leserschaft unterschiedlichen Geschlechts zu bezeichnen. Diese Praxis wird kritisiert, da sie eine Verschleierung oder Unsichtbarmachung des weiblichen oder nicht-binären Geschlechts impliziert, was sowohl Probleme der Genauigkeit als auch potenzielle Diskriminierung mit sich bringt. Es wird argumentiert, dass Sprache eng mit der Realität und dem Denken verbunden ist und dass der Wechsel vom generischen Maskulinum zu einem inklusiveren Sprachgebrauch ein Schritt von vielen hin zu einer gerechteren und inklusiveren Welt ist, in der sich alle Menschen in ihrer Sprache repräsentiert und akzeptiert fühlen. Heute gibt es ein wachsendes Bedürfnis, Gleichberechtigung auch sprachlich auszudrücken und Alternativen zum generischen Maskulinum zu finden. Dabei wird zwischen Strategien der expliziten Geschlechtsangabe und geschlechtsneutralen Formulierungen unterschieden, die je nach Anforderungen des Textes und Präferenzen der Leserschaft Vor- und Nachteile haben und flexibel eingesetzt werden können.

Geschlecht berücksichtigende Formulierungen: Vor- und Nachteile

Wie im Deutschen ist es auch im Italienischen möglich, beide Geschlechter zu nennen, also z.B. „Lettore e lettrice“ (Leser und Leserin). Diese Doppelnennung ermöglicht einen präzisen Ausdruck, insbesondere in Fällen, in denen eine Gruppenbezeichnung wie z.B. “Leserschaft” zu allgemein ist. Auf diese Weise werden unnatürliche Umschreibungen vermieden und die Genauigkeit der Sprache gewahrt. Eine alternative Methode ist die Verwendung von Schrägstrichen wie in “lettore/-trice”.

Diese Methode ist effektiv, wenn es keine anderen Elemente im Text gibt, die angepasst werden müssen: Aus grammatikalischer Sicht beeinflusst das Geschlecht im Italienischen alle damit verbundenen Sprachelemente wie Artikel, Adjektiv und Pronomen. Wenn nun alle Elemente angepasst werden müssen, kann dies zu einer Verkomplizierung und Verlängerung von Texten führen, wenn sowohl die männliche als auch die weibliche Form verwendet wird – noch mehr als beispielsweise im Deutschen. Ein weiterer Kritikpunkt ist die Aufrechterhaltung eines binären Geschlechtersystems, das davon ausgeht, dass sich alle Menschen entweder mit dem weiblichen oder dem männlichen Geschlecht identifizieren und repräsentiert sehen.

Diese Sorge betrifft auch das Pronomen, ein Thema, das weltweit diskutiert wird und je nach Sprachstruktur verschiedene Vorschläge erhalten hat. Im Englischen beispielsweise hat sich der Singular “they” als unmarkiertes Pronomen teilweise durchgesetzt und wird von einigen Sprachinstitutionen unterstützt, während im Schwedischen das Pronomen “hen” bereits im Wörterbuch steht. Im Italienischen ist die Frage nach einem nicht-binären Pronomen nicht so dringlich, da das Italienische eine Null-Subjekt-Struktur hat, die Pronomen oft überflüssig macht. Es gibt jedoch Probleme mit Substantiven, Partizipien und Adjektiven, für die verschiedene grafische Lösungen verwendet werden, um geschlechtsspezifische Bezüge zu vermeiden.

Eine gängige Methode ist, wie im Deutschen, die Verwendung von Genderzeichen, d.h. Symbolen wie dem Sternchen, dem @-Zeichen oder dem Bindestrich, um eine Formulierung geschlechtergerecht zu machen, z.B. „Benvenut*“, “Benvenut@“, „Benvenut-„. Eine alternative Lösung ist die Verwendung der Buchstaben -x und -y, z. B. „Benvenutx“, “Benvenuty“. Die Aussprache dieser Formen ist jedoch mehrdeutig und kann die Lesbarkeit beeinträchtigen, weshalb sie sich eher für informellere schriftliche Texte wie z.B. Chat-Nachrichten eignen. Eine weitere Möglichkeit ist die Endung -u, also „Benvenutu“, die in der gesprochenen Sprache praktisch ist, aber zu Verwechslungen zwischen Singular und Plural führen kann.

Eine weitere viel diskutierte Möglichkeit ist die Verwendung des Schwa (ǝ) für den Singular und des langen Schwa (з) für den Plural. Das Schwa, ein mittlerer zentraler Vokal, der in verschiedenen Sprachen vorkommt (ein Laut, der dem „a“ im englischen „about“ entspricht), wird als vielversprechender Kandidat für die Einführung eines geschlechtsneutralen Wortes im Italienischen diskutiert. Diese Idee hat in den letzten Jahren an Popularität gewonnen und wird bereits von einigen Verlagen als redaktionelle Norm verwendet, um eine neutrale und inklusive Sprache zu fördern. So würde man zum Beispiel „profesorǝ“ sagen, um sich auf eine Lehrkraft jeglichen Geschlechts zu beziehen – eine Form, die leicht auszusprechen ist, den Text kurz und ökonomisch hält und vor allem alle Geschlechtsidentitäten angemessen repräsentiert und inklusiv anspricht. Trotz ihrer Popularität hat sich die Accademia della Crusca gegen die Einführung des Schwa ausgesprochen, da es nicht zum Standardrepertoire der italienischen Sprache gehört. Sie argumentiert, dass das Italienische nur zwei grammatische Geschlechter kennt, männlich und weiblich, und kein neutrales Geschlecht, und dass außerdem das biologische Geschlecht und die Geschlechtsidentität von der grammatischen Kategorisierung getrennt werden müssen.

Geschlechtsneutrale Formulierungen: Vor- und Nachteile

Die doppelte Nennung kann zu unübersichtlichen Texten führen, und die Verwendung von Gender-Zeichen ist nach wie vor umstritten und gilt als grammatikalisch nicht korrekt. Eine Alternative sind geschlechtsneutrale Umformulierungen, die den Text inklusiv machen, ohne dass dies direkt auffällt. Eine Möglichkeit besteht darin, umfassende Substantive zu verwenden, die Kategorien, Positionen oder Rollen definieren. Anstelle von “dottori” (Ärzte) könnte beispielsweise “personale medico” (medizinisches Personal) verwendet werden. Dies ermöglicht eine klare und inklusive Sprache ohne komplizierte Doppelungen. Auch die Verwendung von Begriffen wie “persona”, “individuo” oder “soggetto” ermöglicht es, sich auf Individuen zu beziehen, ohne auf geschlechtsspezifische Bezeichnungen zurückgreifen zu müssen. Verallgemeinernde Kollektivbezeichnungen wie “équipe” oder “classe” bieten eine weitere Möglichkeit, sich auf gemischte Gruppen zu beziehen. Dabei ist jedoch Vorsicht geboten, da Sammelbezeichnungen manchmal zu allgemein oder mehrdeutig sein können. In solchen Fällen kann die Präzision durch andere Strategien wie die Verdoppelung oder die Verwendung unbestimmter Pronomen gewahrt werden.

Eine weitere Strategie besteht darin, Sätze umzuformulieren und geschlechtsneutrale Formulierungen zu bevorzugen. Dies kann bedeuten, das Subjekt zu ändern, Synonyme für Verben, Substantive und Adjektive zu finden, Substantive, Pronomen und Adjektive wegzulassen, sodass das Verb das Subjekt definiert, oder auf Passiv- oder Unpersönlichkeitsformen zurückzugreifen, sofern dies nicht zu Verwirrung oder Mehrdeutigkeit führt. Beispielsweise könnte anstelle von “Coinvolgere il lettore” die Formulierung “Coinvolgere chi legge” verwendet werden, oder statt “Sei un traduttore?” könnte man “Traduci per lavoro?” sagen. Die Anwendung dieser geschlechtsneutralen Formulierungen verhindert die Betonung von Geschlechtsmerkmalen und trägt zu einer präzisen und inklusiven Sprache bei. Darüber hinaus werden keine innovativen Zeichen in den Text eingeführt und der Text kann teilweise sogar kürzer und präziser werden. Auf der anderen Seite erfordert geschlechtergerechtes Umformulieren auch eine Bewusstseinsbildung für sexistische Sprachpraktiken und die Fähigkeit, kreativ mit Sprache umzugehen, was jedoch von erfahrenen Übersetzern und Textern beherrscht oder erlernt werden kann.

Eine wirklich inklusive Sprache

Einen wirklich inklusiven Sprachgebrauch zu entwickeln bedeutet, alle Facetten der Vielfalt zu berücksichtigen. Es gibt immer noch viele Redewendungen oder Wörter, die neben einem sexistischen auch einen rassistischen, klassistischen oder ableistischen Hintergrund haben können und die in einem inklusiven Sprachgebrauch berücksichtigt werden sollten. Die Art und Weise, wie wir bewusst oder unbewusst über jemanden sprechen, hat Auswirkungen darauf, wie wir diese Person wahrnehmen – so befürwortende Stimmen des inklusiven Sprachgebrauchs.

Viele gängige Ausdrücke spiegeln so z. B. ein stereotypes Weltbild wider, das den starken Mann und Arbeiter im Gegensatz zur schwachen Frau als Hüterin des Hauses zeigt. “Donnicciola”, ein Wort, das „donna“ (Frau) in sich trägt, deutet beispielsweise auf einen ängstlichen Mann hin, oder die Vorstellung, dass in einer Ehe die Frau mit dem starken Charakter “porta i pantaloni” (die Hosen trägt). Ähnliche Stereotype finden sich auch in Sprichwörtern wie “chi dice donna dice danno” (Wer Frau sagt, sagt Böses) oder “donna al volante, pericolo costante” (Frau am Steuer, ständige Gefahr). Ein weiterer Punkt betrifft die unsymmetrische Behandlung in der Sprache. Im Italienischen, aber auch im Spanischen, ist es üblich, Frauen mit dem Vornamen und Männer mit dem Nachnamen anzusprechen, so zum Beispiel in einem Artikel über ein Treffen zwischen der ehemaligen deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel und dem italienischen Ministerpräsidenten Giuseppe Conte: „La forza di Angela e le paure di Conte“ (Die Kraft von Angela und die Ängste von Conte). Diese Praxis kann jedoch eine asymmetrische Behandlung darstellen, die die Bedeutung des weiblichen Parts schmälert. Um das Gleichgewicht zu wahren, sollten Titel und Höflichkeitsfloskeln symmetrisch verwendet werden, wenn Männer und Frauen in der dritten Person angesprochen werden.

Fazit

In der Anfangsphase kann es ungewohnt sein, sich immer wieder zu fragen, ob die Sprache inklusiv ist oder nicht. Auch die Umsetzung einer geschlechtergerechten Sprache kann zunächst einen Mehraufwand bedeuten, da man sich an bestimmte Strukturen erst gewöhnen oder sprachliches Geschick anwenden muss, um dem generischen Maskulinum zu entgehen. Die Suche nach inklusiven Formen ist in manchen Sprachen, wie zum Beispiel im Italienischen oder Französischen, komplexer als in anderen. Dennoch ist es immer interessant, kreative Lösungen zu finden, die den Text lesefreundlich machen und gleichzeitig eine breite Leserschaft ansprechen. Die Balance zwischen Neutralität, Klarheit, Sparsamkeit und Natürlichkeit zu finden, erfordert Sensibilität und Fingerspitzengefühl.

Im E-Commerce und bei Übersetzungen ist es grundsätzlich von Vorteil, geschlechtsneutrale Formulierungen zu verwenden. Solche Formulierungen sind weniger auffällig, entsprechen grammatikalischen Standards, sparen Platz und ermöglichen gleichzeitig eine inklusivere und respektvollere Kommunikation. Es empfiehlt sich, bereits bei der Texterstellung im Online-Shop auf geschlechtergerechte Formulierungen zu achten, um eine reibungslose Übersetzung zu gewährleisten. Unternehmen, die geschlechtergerechte Sprache als integralen Bestandteil ihrer Kommunikationsstrategie verstehen, haben zudem die Möglichkeit, eine breitere Zielgruppe anzusprechen und ihr Unternehmensimage positiv zu beeinflussen. Die Umsetzung einer geschlechtergerechten Sprache erfordert unter Umständen ein gewisses Maß an Kreativität und Aufmerksamkeit für sprachliche Nuancen, wobei Leitfäden für das Italienische als nützliche Orientierungshilfe dienen können. In diesem Artikel wurde bereits auf die besonderen Aspekte hingewiesen, die bei der Anwendung von geschlechtergerechter Sprache im E-Commerce und bei Übersetzungen zu berücksichtigen sind. Darüber hinaus ist es wichtig, politische Einstellungen und sprachliche Gepflogenheiten in verschiedenen Regionen zu berücksichtigen. Es wird daher empfohlen, erfahrenes professionelles Übersetzungspersonal hinzuzuziehen, das sowohl die Ziel- als auch die Ausgangssprache beherrscht. Auf diese Weise kann eine authentische und effektive Anwendung der geschlechtergerechten Sprache gewährleistet werden.



Quellen

 


autor_eurotext_100Autor: Eurotext Redaktion

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