Nach Estland widmet sich unsere Reihe „E-Commerce in…“ diesmal einem weiteren der drei baltischen Staaten: In Lettland befindet sich Europas „Free-Wifi-Hauptstadt“ – und auch sonst hat das kleine Land im Norden technikaffinen Kundinnen und Kunden sowie Markteinsteigern eine Menge zu bieten. Für deutsche Unternehmen eröffnen sich in Lettland vor allem durch EU-finanzierte Projekte in den Bereichen Infrastrukturausbau, Digitalisierung, Automatisierung und Maschinenbau große Chancen. Doch ausgebildete Fachkräfte werden im Baltikum immer knapper. Was Lettland als mögliches Expansionsziel kennzeichnet, wo sein Potenzial liegt und welche Besonderheiten Unternehmen beachten müssen, zeigen wir hier.

Zahlen und Fakten

Was Fläche und Einwohnerzahl betrifft, ist Lettland das zweitgrößte der drei baltischen Länder. Mit 64.589 km² ist es etwa so groß wie Bayern. Unter den EU-Staaten reiht Lettland sich flächenmäßig ein zwischen dem kleineren Kroatien und dem etwas größeren Nachbarland Litauen, mit dem sich Lettland seine südliche Grenze teilt. Weitere Nachbarn sind Estland im Norden, Weißrussland im Südosten und Russland im Osten.

Die Republik Lettland hat nur etwa 1,9 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner – so viele wie die österreichische Hauptstadt Wien. Die Hauptstadt Riga ist die größte Stadt Lettlands und beheimatet rund 600.000 Menschen – fast ein Drittel der Bevölkerung des Landes.

Gemessen am HDI, dem Wohlstandindikator der Vereinten Nationen, ist Lettland mit einem Wert von 0,862 das 39. Land der Welt nach menschlicher Entwicklung (vgl. Deutschland: 0,942; Österreich: 0,916). Das lettische Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt bei rund 39 Mrd. US-Dollar, kaufkraftbereinigt liegt das BIP pro Kopf bei rund 34.600 US-Dollar (vgl. deutsches BIP pro Kopf: 45.700 US-Dollar).

Seit 2004 ist Lettland der Europäischen Union. Im Jahr 2014 löste der Euro den Lats als offizielle Landeswährung ab.

Internetnutzung, Kaufverhalten, Branchen und Marktführer, Zahlungsarten

Ablenkung (nicht nur) in den langen Winternächten, bietet den Lettinnen und Letten die ausgezeichnete Internetverbindung: Schon im Sommer 2014 erhielt Riga den Titel „Hauptstadt des freien W-Lan“. Pro Quadratkilometer gibt es in der Stadt drei kostenlose Hotspots. Im Jahr 2020 hatten 90 Prozent aller Haushalte außerdem auch zu Hause Zugang zum Internet.

Laut einer Umfrage des lettischen Statistikbüros aus dem Jahr 2020 nutzen 86,9 Prozent der Lettinnen und Letten mindestens einmal pro Woche das Internet. Dabei gaben 62,8 Prozent der Befragten an, das Internet kauforientiert zu nutzen, das heißt, um Waren und Dienstleistungen zu erwerben. Im Corona-Jahr 2020 entsprach dies einem Anstieg von neun Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Die beliebtesten Produktkategorien der Online-Shopperinnen und -Shopper waren dabei Kleidung und Schuhe sowie Handys, Computer und Haushaltsgeräte.

In einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Gemius gaben 71 Prozent der Lettinnen und Letten an, dass sie vor allem durch günstigere Preise und Sonderangebote dazu motiviert werden, dem Onlinehandel den Vorzug zu geben. Besonders gerne kaufen sie im Ausland ein: Aliexpress, Ebay und Amazon heißen die drei beliebtesten Onlineshops in Lettland. Immerhin hatten im Jahr 2020 68 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten auch bei einheimischen Anbietern eingekauft. Bezahlt werden die Waren am liebsten per Überweisung (70 %), Kauf auf Rechnung (66 %) oder Nachnahme (45 %).

Aktuelle Trends: Geschäftschancen durch EU-Projekte, Modernisierungsbedarf, Fachkräftemangel

Besondere Geschäftschancen bieten Projekte in den folgenden EU-finanzierten Schwerpunktbereiche: Infrastrukturausbau mit besonderem Fokus auf nachhaltigen Mobilitätslösungen und erneuerbaren Energien, Digitalisierung, Green Building, Umwelt- und Klimaschutz sowie Gesundheit.

Die lettische Industrie hat einen hohen Modernisierungsbedarf, weshalb sich für deutsche Unternehmen gute Chancen in den Bereichen Automatisierung und Maschinenbau eröffnen. Auch die Logistik ist nach wie vor für Transport- und Lagerlösungen interessant, da Lettland weiterhin auf seine Drehscheibenfunktion im grenzüberschreitenden Warenverkehr in Richtung Skandinavien setzt. Umgekehrt ist die wachsende Anzahl modern ausgestatteter lettischer Unternehmen vor allem in der Metall- und Holzindustrie als Zulieferer vor allem von Spezialprodukten kleiner Losgröße interessant.

Ein spezifisch lettisches Problem ist der starke Bevölkerungsrückgang. Seit dem Jahr 2000 haben jährlich zwischen 15.000 und 20.000 Lettinnen und Letten ihre Heimat verlassen. Damit hat sich die Bevölkerungszahl inzwischen um ein Viertel verringert. Der Abwanderung steht – mit Ausnahme von Einmaleffekten etwa durch ukrainische Flüchtlinge – eine geringere Zahl von Zuwanderern und Rückwanderern gegenüber. Kritisch ist vor allem der Mangel an gut ausgebildeten Arbeitskräften. Dieser führt zu einem erhöhten Lohndruck, der die Produktivität lettischer Unternehmen belastet, und wird von ausländischen Investoren vor Ort als größtes Standortproblem empfunden.

Logistik

Als größtes Hindernis in Sachen E-Commerce empfinden die Kundinnen und Kunden in Lettland das Thema Versand. Der dauere zu lange, sei oft zu teuer, Retouren nicht immer problemlos möglich. Dazu könnte beitragen, dass viele der beliebten internationalen Onlinehändler bisher nicht in den baltischen Staaten vertreten sind. Als Versandzeit für ein Päckchen aus Deutschland gibt DHL beispielsweise eine durchschnittliche Dauer von sechs bis zwölf Werktagen an. Ein Paket soll immerhin in drei bis vier Tagen am Ziel sein.

Dabei ist Lettland durch seine günstige geographische Lage eigentlich eine Drehscheibe für den Güter Transport zwischen Europa und Asien. Der Transport erfolgt dabei im Normalfall entweder über Straßen oder über das gut ausgebaute Schienennetz, das Lettland mit angrenzenden Ländern wie dem großen Nachbarn Russland, aber auch mit weit entfernten Märkten wie Japan und China verbindet. Auch in den drei größten Häfen in Riga, Liepāja und Ventspils kommen Waren aus aller Welt an. Die Häfen sind auch im Winter eisfrei und damit ganzjährig gut zu erreichen. Als Sonderwirtschaftszonen bieten sie ortsansässigen Unternehmen außerdem attraktive Anreize wie Steuervergünstigungen und andere Unterstützung.

Sprache

Lettisch ist die Amtssprache in Lettland und außerdem eine anerkannte Minderheitensprache im Nachbarland Estland. Insgesamt zählt Lettisch etwa 1,7 Mio. Muttersprachlerinnen und Muttersprachler. Am nächsten verwandt ist das Lettische mit dem Litauischen. Im Gegensatz zum Estnischen gehören beide Sprachen der indogermanischen Sprachfamilie an, gegenseitig verständlich sind sie aber dennoch nicht. Beide Sprachen ähneln slawischen Sprachen, haben aber aufgrund ihrer Geschichte auch Elemente aus dem Deutschen und Niederländischen übernommen.

Bis heute beherrschen über 60 Prozent der Lettinnen und Letten die russische Sprache. In mehr als einem Drittel der Haushalte wird Russisch sogar zu Hause gesprochen. Dabei ist die russische Minderheit die größte ethnische Minderheitengruppe in Lettland. In Lettland gibt es außerdem polnische, ungarische und litauische Minderheiten.

Seit den 1990er Jahren hat Englisch das Russische als wichtigste Fremdsprache abgelöst. Insbesondere junge Lettinnen und Letten sprechen heute deswegen oft besser Englisch als Russisch. Die englische Sprache erleichtert zudem den grenzüberschreitenden Handel zwischen Deutschland und Lettland.

Import- und Zollbestimmungen, Verpackungsvorschriften, Ursprungsbezeichnung

Seit dem Beitritt Lettlands in die EU am 1. Mai 2004 gelten in Lettland die EU-Einfuhrbestimmungen. Für den Güterverkehr innerhalb der Union gilt das Prinzip des zollfreien Verkehrs im Binnenmarkt. Einschränkungen gibt es lediglich bei der Beförderung verbrauchsteuerpflichtiger Waren.

Für die Höhe der verschiedenen Zollgebühren sind in Lettland, wie auch in den anderen EU-Mitgliedstaaten, die einschlägigen EU-Rechtsvorschriften maßgebend. Bei der Einfuhr aus Drittländern gelten die EU-Außenzölle gemäß dem Gemeinsamen Zolltarif der Europäischen Gemeinschaft (TARIC).

Wichtig für den E-Commerce: Ab dem 1. Juli 2021 gilt in Lettland die Mehrwertsteuerrichtlinie für den elektronischen Geschäftsverkehr. Die Mehrwertsteuerpflicht für Lieferungen im E-Commerce wird über das OSS-Verfahren abgewickelt. Dabei gelten die lettischen Mehrwertsteuersätze. Bei Überschreiten der Lieferschwelle (10.000 Euro) ist eine mehrwertsteuerliche Registrierung in Lettland erforderlich.

Für verpackte Waren ist bei der Einfuhr nach Lettland eine Umweltabgabe auf das Verpackungsmaterial zu entrichten. Die Produkte müssen gut sichtbar und verständlich gekennzeichnet sein und die Sicherheit bzw. die Unschädlichkeit sowie die Qualität der Ware sachlich darstellen. Eine Angabe des Ursprungslandes ist nur dann erforderlich, wenn die Ware aus einem Drittland stammt. Somit ist für Waren mit deutschem Ursprung die Ursprungsangabe „Made in Germany“ nicht nötig, aber sicher auch nicht von Nachteil.

Fazit

Das Baltikum im Allgemeinen und Lettland im Besonderen sind für den E-Commerce durchaus interessant: Insbesondere die gute Internetpenetration, die digitalaffine Bevölkerung, die geographisch günstige Lage und der Status als Mitglied des europäischen Binnenmarktes sprechen dafür. Die politische Lage ist stabil und die lettische Wirtschaft zählt zu den wachstumsstärksten der EU. Da Lettinnen und Letten besonderen Wert auf niedrige Preise und günstige Versandkosten legen, dürften sich lokale Lager- und Warenhäuser auf dem lettischen Markt besonders auszahlen. Für deutsche Unternehmen bieten sich zudem vor allem durch EU-finanzierte Projekte interessante Geschäftschancen. Größtes Hindernis für eine langfristige Expansion nach Lettland ist und bleibt jedoch die schwindende Einwohnerzahl: Abwanderung und niedrige Geburtenraten lassen die Bevölkerung Jahr für Jahr schrumpfen – aber vielleicht ist ja auch dies ein Trend, der mit zunehmender Digitalisierung und den immer besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen bald eine Kehrtwende erfahren wird.



Quellen

Weiterführende Links

 


autor_eurotext_100Autor: Eurotext Redaktion

Wir erklären, wie Internationalisierung funktioniert, geben Tipps zu Übersetzungsprojekten und erläutern Technologien und Prozesse. Außerdem berichten wir über aktuelle E-Commerce-Entwicklungen und befassen uns mit Themen rund um Sprache.

 

Bitte beachten Sie: Auch wenn wir in unseren Beiträgen gelegentlich Rechtsthemen ansprechen, stellen diese keine Rechtsberatung dar und können eine solche auch nicht ersetzen. Wenn Sie konkrete Fragen haben, lassen Sie sich bitte von einem Anwalt beraten.