Nach Estland widmet sich unsere Reihe „E-Commerce in…“ diesmal einem weiteren der drei baltischen Staaten: In Lettland befindet sich Europas „Free-Wifi-Hauptstadt“ – und auch sonst hat das kleine Land im hohen Norden technikaffinen Kunden und Firmen eine Menge zu bieten.

Zahlen & Fakten

Was Fläche und Einwohnerzahl betrifft, ist Lettland das zweitgrößte der drei baltischen Länder. Mit 64.589 Quadratkilometern ist es etwa so groß wie Bayern; unter den EU-Staaten reiht Lettland sich flächenmäßig ein zwischen dem kleineren Kroatien und dem etwas größeren Nachbarland Litauen, mit dem sich Lettland seine südliche Grenze teilt. Weitere Nachbarn sind Estland im Norden, Weißrussland im Südosten und Russland im Osten.

Die Republik Lettland hat nur etwa 1,9 Millionen Einwohner – so viele wie die österreichische Hauptstadt Wien. Seit dem Zerfall der Sowjetunion, der Lettland einst angehörte, nimmt die Bevölkerungszahl Jahr für Jahr ab und fiel 2014 erstmals unter zwei Millionen. Jeder dritte Lette lebt dabei in der Hauptstadt Riga, mit 600.000 Einwohnern der größten Stadt des Baltikums. Das Zentrum der Universitätsstadt gilt als UNESCO-Weltkulturerbe und wird auch als „Perle der Jugendstil-Architektur“ bezeichnet.

Die lettische Natur, geprägt von grünen Hügeln, der Ostseeküste und zahlreichen Seen und Flüssen, hält einen kuriosen Rekord: Statt dem höchsten kann man hier den breitesten Wasserfall Europas bewundern. Die Ventas Rumba erstreckt sich über 110 Meter, ist jedoch nur zwei Meter hoch. Wegen der nördlichen Lage des Landes gibt es in Lettland außerdem ein Phänomen, dass viele Europäer eher mit den skandinavischen Ländern verbinden: Der längste Tag im lettischen Sommer dauert 18 Stunden, dafür geht die Sonne im tiefsten Winter in Riga nur für sechs Stunden auf.

Die drei baltischen Staaten Estland, Lettland und Litauen sind die einzigen Länder der ehemaligen Sowjetunion, die der Europäischen Union beigetreten sind: Seit 2004 ist Lettland dort Mitglied und im Jahr 2014 löste der Euro den Lats als offizielle Landeswährung ab.

Trends und Einblicke

Ablenkung, (nicht nur) in den langen Winternächten, bietet den Letten die ausgezeichnete Internetverbindung: Schon im Sommer 2014 erhielt Riga den Titel „Hauptstadt des freien W-Lan“. Pro Quadratkilometer gibt es in der Stadt drei kostenlose Hotspots. Im Jahr 2020 hatten 90 Prozent aller Haushalte außerdem auch zu Hause Zugang zum Internet.

Laut dem Statistikbüro der lettischen Regierung nutzten 86,9 Prozent der Einwohner das Internet 2020 mindestens einmal pro Woche. In der gleichen Befragung gaben 62,8 Prozent an, Waren und Dienstleistungen im Internet zu erwerben. Im Corona-Jahr 2020 entsprach dies einem Anstieg von neun Prozentpunkten im Vergleich zum Vorjahr. Die beliebtesten Produktkategorien der Online-Shopper waren dabei Kleidung und Schuhe sowie Handys, Computer und Haushaltsgeräte.

In einer Umfrage des Marktforschungsunternehmens Gemius gaben 71 Prozent der Letten an, dass sie vor allem durch günstigere Preise und Sonderangebote dazu motiviert werden, dem Onlinehandel den Vorzug zu geben. Besonders gerne kaufen sie im Ausland ein: Aliexpress, Ebay und Amazon heißen die drei beliebtesten Onlineshops in Lettland. Immerhin 68 Prozent der Onlinekunden hatten 2020 jedoch auch bei einheimischen Anbietern eingekauft. Bezahlt werden die Waren am liebsten per Überweisung (70 Prozent), Kauf auf Rechnung (66 Prozent) oder Nachnahme (45 Prozent).

Als größtes Hindernis in Sachen E-Commerce empfinden die Kunden in Lettland das Thema Versand. Der dauere zu lange, sei oft zu teuer, Retouren nicht immer problemlos möglich. Dazu könnte beitragen, dass viele der beliebten internationalen Onlinehändler bisher nicht in den baltischen Staaten vertreten sind. Als Versandzeit für ein Päckchen aus Deutschland gibt DHL beispielsweise eine durchschnittliche Dauer von sechs bis zwölf Werktagen an. Ein Paket soll immerhin in drei bis vier Tagen am Ziel sein. Dabei ist Lettland durch seine günstige geographische Lage eigentlich eine Drehscheibe für den Güter Transport zwischen Europa und Asien. Der Transport erfolgt dabei im Normalfall entweder über Straßen oder über das gut ausgebaute Schienennetz, das Lettland mit angrenzenden Ländern wie dem großen Nachbarn Russland, aber auch mit weit entfernten Märkten wie Japan und China verbindet. Auch in den drei größten Häfen in Riga, Liepāja und Ventspils kommen Waren aus aller Welt an. Die Häfen sind auch im Winter eisfrei und damit ganzjährig gut zu erreichen. Als Sonderwirtschaftszonen bieten sie ortsansässigen Unternehmen außerdem attraktive Anreize wie Steuervergünstigungen und andere Unterstützung.

Sprache

Lettisch ist die offizielle Amtssprache in Lettland und außerdem eine anerkannte Minderheitensprache im Nachbarland Estland. Insgesamt gibt es etwa 1,7 Millionen lettische Muttersprachler. Am nächsten verwandt ist das Lettische mit dem Litauischen – im Gegensatz zum Estnischen gehören beide Sprachen der indogermanischen Sprachfamilie an, gegenseitig verständlich sind sie aber dennoch nicht. Beide Sprachen ähneln slawischen Sprachen, haben aber aufgrund ihrer Geschichte auch Elemente aus dem Deutschen und Niederländischen übernommen.
Auch die sowjetische Okkupation nach dem zweiten Weltkrieg hat ihre Spuren hinterlassen: Bis heute beherrschen über 60 Prozent der Letten die russische Sprache – in mehr als einem Drittel der Haushalte wird Russisch sogar zu Hause gesprochen und Russen machen die mit Abstand größte ethnische Minderheitengruppe in Lettland aus. Die Nationalitäten- und Sprachenfrage ist in der lettischen Politik häufig Anlass für Konflikte. So sah sich die lettische Regierung 2019 beispielsweise gezwungen, Lettisch als Unterrichtssprache im Gesetz zu verankern und den russischen Schulunterricht einzuschränken. Abgesehen von Russisch sprechen Minderheiten in Lettland auch Polnisch, Ungarisch und Litauisch. Seit den 1990er Jahren hat Englisch das Russische als wichtigste Fremdsprache abgelöst. Insbesondere junge Letten sprechen heutzutage deswegen oft besser Englisch als Russisch.

Fazit

Das Baltikum im Allgemeinen und Lettland im Besonderen sind für den E-Commerce durchaus interessant: Insbesondere die gute Internetpenetration, die digitalaffine Bevölkerung, die geographisch günstige Lage und der Status als Mitglied des europäischen Binnenmarktes sprechen dafür. Die politische Lage ist stabil und die lettische Wirtschaft zählt zu den wachstumsstärksten der EU. Da Letten besonderen Wert auf niedrige Preise und günstige Versandkosten legen, dürften sich lokale Lager- und Warenhäuser auf dem lettischen Markt besonders auszahlen. Größtes Hindernis für eine langfristige Expansion nach Lettland ist und bleibt jedoch die schwindende Einwohnerzahl: Abwanderung und niedrige Geburtenraten lassen die Bevölkerung Jahr für Jahr schrumpfen – aber vielleicht ist ja auch dies ein Trend, der mit zunehmender Digitalisierung und den immer besseren Lebens- und Arbeitsbedingungen bald eine Kehrtwende erfahren wird.

 



Quellen:

 


autor_eurotext_100Autor: Eurotext Redaktion

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