Nachdem wir in dieser Reihe schon einige europäische und internationale E-Commerce-Märkte vorgestellt haben, möchten wir uns dieses Mal den russischen Markt ansehen. Obwohl Russland zum größten Teil in Europa liegt, laufen die Dinge hier doch deutlich anders ab. Im Vergleich mit westlichen Ländern gibt es große Unterschiede, wie Menschen im Internet, das hier übrigens Runet heißt, einkaufen.

Zahlen & Fakten

Russland ist das flächenmäßig größte Land der Erde. Mit etwa 144 Millionen Einwohnern liegt die Einwohnerdichte bei nur 8 Einwohnern pro km², Russland gehört damit zu den weltweit am dünnsten besiedelten Flächenstaaten. Der Großteil der Einwohner verteilt sich auf den europäischen Teil des Landes, der asiatische Teil ist deutlich dünner besiedelt.

Der Konsum in Russland ist in den letzten drei Jahren durch die Wirtschaftskrise zwar stark eingebrochen, doch der E-Commerce scheint davon nicht betroffen zu sein und nimmt weiter zu. Für dieses Jahr ist wieder ein Wachstum von 25% vorhergesagt. Mit einem Volumen von rund 15 Milliarden Euro liegt der russische E-Commerce-Markt zwar immer noch deutlich hinter Deutschland und Großbritannien, holt aber schnell auf. Gerade der Cross-Border-Commerce nimmt stark zu, wofür auch die sehr liberale Gesetzgebung verantwortlich ist: Warensendungen mit einem Wert von bis zu 1000 Euro können zollfrei eingeführt werden und selbst teurere Sendungen können in einzelne Pakete aufgeteilt werden.

Dass die russische Internetlandschaft sich stark von der westlichen unterscheidet, sieht man schon daran, dass Google dort nicht sehr gefragt ist. Der vergleichbare russische Dienst Yandex, der beispielsweise auch Yandex.Taxi und Yandex.Market anbietet, erfreut sich weitaus größerer Beliebtheit. Auch auf dem E-Commerce-Markt erkennt man diesen Unterschied: Die üblichen E-Commerce-Riesen wie Ebay und Amazon spielen dort keine große Rolle. Besonders beliebt ist hingegen der chinesische Dienst Alibaba. Die russischen Kunden haben sich auf Billigware spezialisiert: 90% der Lieferungen aus dem Ausland kommen aus China, aus Europa nur 4% und aus den USA nur 2%. Dagegen entfallen beim Warenwert nur 52% auf Waren aus China, 23% auf Waren aus Europa und 12% auf solche aus den USA.

Lokalisierung

Natürlich ist eine Lokalisierung das A und O einer erfolgreichen Expansion ins Ausland, so auch bei Russland. Allerdings ist es hier nicht damit getan, die Internetpräsenz perfekt lokalisieren zu lassen. Der russische Markt hat nämliche eine Eigenheit: Anders als in Europa läuft der Bestellprozess übers Internet nicht rein virtuell ab. Russische Kunden erwarten nach ihrer Bestellung einen Anruf. Oft bestellen sie auch bei mehreren Shops und wer zuerst zurückruft, bekommt den Kunden. Hier lohnt es sich also, muttersprachliche Telefondienstmitarbeiter zu beschäftigen. Zur Zeit können Lagerhallen in Russland günstig angemietet werden, wodurch es interessant wird, in Russland mit lokalem Lager und Präsenz zu agieren. Allerdings ist mit einigen Herausforderungen zu rechnen, von bürokratischen Anforderungen über kulturelle Eigenheiten bis hin zu laufenden Kosten. Zusätzlich müssen die vom Westen wegen der Krimkrise und des Kriegs in der Ukraine verhängten Wirtschaftssanktionen berücksichtigt werden.

Zahlungsmethoden und Versand

Onlinebezahldienste kommen in Russland erst ganz langsam in Fahrt, aber auch hier setzt sich der Trend zu nationalen Anbietern fort und globale Riesen wie Paypal sind kaum präsent. Der beliebteste Dienst in Russland heißt Deng i. Am beliebtesten ist bei den russischen Onlineshoppern jedoch die Bezahlung per Nachnahme, der Kunde zahlt also erst, wenn er die Ware in Händen hält, was in Russland aufgrund der teilweise mangelhaften Infrastruktur etwas länger dauern kann.

Bis April 2017 mussten Alibaba-Kunden mitunter bis zu eine Monat auf ihre Bestellungen warten. Seitdem hat der chinesische E-Commerce-Riese allerdings in den 20 größten Städten Russlands den Service AliExpress Mall eingerichtet, der eine Verfügbarkeit am nächsten Tag verspricht – zunächst allerdings nur für eine begrenzte Anzahl von Produkten. Generell ist die Logistik in Russland ein großes Problem. Russlands führender Online-Händler Ulmart hat das einigermaßen in den Griff bekommen, indem in vielen Stadtzentren, direkt außerhalb der Stadtgrenzen und in Vororten, Abwicklungszentren eingerichtet wurden, wodurch Produkte schneller geliefert werden können. Der Fulfillment-Service ist insgesamt noch ausbaufähig. Nicht nur in Bezug auf die Logistik, sondern auch bei Retouren gibt es Nachholbedarf.

Branchen

Auf dem russischen E-Commerce-Markt bildet Mode den größten Bereich, gefolgt von Spielzeug, DIY und Hobby, danach kommen Elektronik und Medien, Möbel und Haushalt und den Schluss bilden Lebensmittel und Drogerie. Im Ausland bestellen die russischen Kunden vor allem Kleider und Schuhe, Haushaltsgeräte und Elektrotechnik.

Fazit

Auf dem russischen E-Commerce-Markt spielt der grenzüberschreitende Handel eine besondere Rolle, wodurch er für ausländische Händler interessant wird. Zwar haben sich die russischen Onlineshopper auf Billigwaren aus China spezialisiert, der Warenwert von Sendungen aus Europa im Vergleich zur Anzahl der Sendungen zeigt aber, dass die Russen durchaus bereit sind, auch qualitativ höherwertige Produkte aus Europa zu kaufen. Wenn man die Eigenheiten des russischen E-Commerce-Marktes beachtet und ein Auge auf die aktuelle politische Lage hat, steht einer erfolgreichen Expansion nichts mehr im Wege.



Quellen

 


autor_eurotext_100Autor: Eurotext Redaktion

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