Den Balkanstaaten hat sich unsere Reihe „E-Commerce in…“ schon in früheren Folgen gewidmet. Diesmal sehen wir uns ein weiteres dieser Länder im Südosten Europas genauer an: In Bosnien-Herzegowina ist das Einkaufen im Internet noch kein großes Thema – das könnte sich jedoch bald ändern.

Zahlen und Fakten

Als östlichste der drei Halbinseln im Süden Europas ragt die Balkanhalbinsel ins Mittelmeer. Eingezwängt zwischen den Nachbarstaaten Kroatien im Westen, Serbien im Osten und dem kleinen Montenegro im Südosten verfügt, das gebirgige Bosnien-Herzegowina nur über einen wenige Kilometer breiten Zugang zur Küste. Wie seine Nachbarn ist auch Bosnien-Herzegowina ein Nachfolgerstaat der ehemaligen Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Vom Bürgerkrieg (1992 bis 1995) hat sich das Land nur schleppend erholt. Heute leben 3,28 Millionen Menschen in Bosnien-Herzegowina, wobei die Bevölkerungszahl seit Jahren schrumpft. Hauptstadt und größte Stadt des Landes ist Sarajevo mit etwas über 290.000 Einwohnern. 1914 erlangte die Stadt traurige Berühmtheit, als dort der österreichisch-ungarische Thronfolger Franz Ferdinand erschossen wurde – ein Ereignis, das als einer der Auslöser für den Ersten Weltkrieg gilt.

Der moderne Staat Bosnien-Herzegowina ist unterteilt in die zwei Regionen Bosnien und Herzegowina, wobei Bosnien im Norden etwa 80 Prozent des rund 51.000 Quadratkilometer großen Staatsgebietes einnimmt. Bosnien-Herzegowina ist damit etwa so groß wie Niedersachsen und das Saarland zusammen. Für Schlagzeilen sorgte in letzter Zeit vor allem das teilautonome Gebiet Republika Srpska im Osten des Landes. Es ist größtenteils von bosnischen Serben bewohnt und verfügt über eine eigene Regierung. Immer wieder drohen führende Politiker der „Republika“ mit der Abspaltung des Landesteils oder der Rekrutierung einer eigenen Armee – eine Drohung, die Erinnerungen an die Zeit des Bosnienkrieges und insbesondere an das blutige Massaker in der Stadt Srebrenica weckt.

Seit 1998 ist die offizielle Währung in Bosnien und Herzegowina die Konvertible Mark (KM). Bis zur Euro-Umstellung in Deutschland war sie an die Deutsche Mark gekoppelt, seit 2002 ist sie es an den Euro. Eine KM entspricht in etwa 50 Euro-Cent. Ein Mitglied der Europäischen Union ist Bosnien bisher nicht – seit 2000 gilt das Land jedoch als „potenzieller Beitrittskandidat“.

Trends und Einblicke

Im Jahr 2020 hatten laut dem nationalen Statistikbüro 72,8 Prozent der bosnischen Haushalte Zugang zum Internet, 0,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Als häufigste Online-Beschäftigung gaben die Befragten jedoch an, mit Freunden und Familie per Video zu telefonieren oder Kurznachrichten auszutauschen. Nur 24,2 Prozent hatten das Internet in den vergangenen drei Monaten auch für Online-Einkäufe genutzt – mehr als die Hälfte hatte sogar noch nie Produkte oder Dienstleistungen im Internet erworben. Umgekehrt gaben nur 18,1 Prozent der befragten Unternehmen in Bosnien-Herzegowina an, ihre Waren auch im Internet zu verkaufen – die meisten davon über internationale Fremdplattformen wie Amazon oder Alibaba. Diejenigen Kunden, die im Netz eingekauft hatten, hatten besonders häufig Kleidung und Schuhe erworben, gefolgt von Produkten aus den Kategorien Möbel und Einrichtung sowie Elektronik.

Die Gründe, warum E-Commerce in Bosnien bisher kein großes Thema ist, sind vielschichtig. In einer Umfrage aus dem Jahr 2012 fanden Studenten der International Burch University in Sarajevo heraus, dass die Hindernisse vor allem kulturell begründet sein könnten. In Sachen Technologie und Infrastruktur, so die Autoren der Studie, sei das Land durchaus bereit für die digitale Transformation, jedoch gebe es in der Bevölkerung noch große Vorbehalte in Sachen Online-Shopping. So gaben die Befragten etwa an, sie befürchteten, dass beim Einkauf im Netz ihre Kreditkarten-Daten gestohlen würden. Insbesondere bei der jüngeren Generation beobachtete die Umfrage jedoch einen Mentalitätswandel – eine Annahme, die durch die aktuellen demographischen Erhebungen über bosnische Internetnutzer im Allgemeinen und Online-Shopper im Speziellen bestätigt wird.

Das Bezahlen per Kredit- oder EC-Karte ist in Bosnien-Herzegowina nicht flächendeckend möglich, noch immer nimmt Bargeld einen großen Stellenwert ein. Für den E-Commerce relevant sind deswegen vor allem die Bezahlung per Nachnahme sowie Online-Bezahldienste wie PayPal. Ist die Bestellung erst einmal getätigt, gilt es eine weitere – im Wortsinn – hohe Hürde zu überwinden: Das Dinarische Gebirge bedeckt einen Großteil der Landesfläche, 90 Prozent von Bosnien-Herzegowina liegen höher als 2000 Meter über dem Meeresspiegel, die Straßen sind nicht immer die besten. Die kurze Küste mit nur einem Hafen ist für den Warentransport im großen Stil ungeeignet. Als durchschnittliche Laufzeit für ein Paket aus Deutschland nach Bosnien gibt der Versanddienstleister DHL wohl wegen solcher Schwierigkeiten eine Dauer von etwa zwölf Tagen an.

Sprachen

Bis zum Zerfall Jugoslawiens wurde Bosnisch gemeinsam mit Kroatisch, Serbisch und Montenegrinisch zu einer gemeinsamen Sprache, dem Serbokroatischen, zusammengefasst. Noch heute verstehen die Sprecher dieser vier slawischen Sprachen einander problemlos, es gibt jedoch Unterschiede in der Aussprache und im Wortschatz. Obwohl sich noch vereinzelt Schilder und Aufschriften in kyrillischer Schrift finden, wird Bosnisch heute fast ausschließlich mit lateinischen Buchstaben geschrieben. Im serbisch geprägten Landesteil Republika Srpska herrscht hingegen weiterhin die kyrillische Schrift vor.

Neben Bosnisch sind auch Kroatisch und Serbisch offizielle Amtssprachen in Bosnien. Bosnisch ist außerdem eine offizielle Sprache im benachbarten Montenegro – insgesamt gibt es etwa drei Millionen Muttersprachler, von denen zwei Drittel in Bosnien-Herzegowina wohnen. Bosnische Muttersprachler machen etwa 45 Prozent der Gesamtbevölkerung aus, gefolgt von Kroatisch mit einem Anteil von 29 und Serbisch mit einem Anteil von gut 15 Prozent. Die verbleibenden etwa zehn Prozent verteilen sich auf sonstige Muttersprachen. Englisch ist heutzutage erste Fremdsprache an allen Schulen im Land – in einer Erhebung des Sprachkursanbieters Education First landete Bosnien-Herzegowina unter 72 Ländern auf einem überdurchschnittlichsten 26. Platz, was das Niveau der Englischkenntnisse im Land anging.

Fazit

In Sachen E-Commerce ist in Bosnien und Herzegowina noch viel Luft nach oben, die Konkurrenz durch einheimische Anbieter ist klein – doch die Expansion in den bosnischen Markt birgt auch große Risiken. Bosnien ist ein armes Land, die Arbeitslosigkeit ist hoch, Abwanderung ein stets aktuelles Thema und das Interesse am Onlineshopping eher gering. Dennoch hat die Internetpenetration in den vergangenen Jahren stetig zugenommen und es wächst eine junge, deutlich online-affinere Generation heran. Diese jungen Internetnutzer, gemeinsam mit dem Vorteil der nahezu gemeinsamen Sprache mit den Nachbarländern, könnte in Bosnien zukünftig zu einem E-Commerce-Boom führen – auch wenn dieser sich im Moment vielleicht noch nicht absehen lässt.

 



Quellen:


autor_eurotext_100Autor: Eurotext Redaktion

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