Der Schweizer E-Commerce-Markt ist längst kein Geheimtipp mehr. Direkt vor der Haustür gelegen, mit einer sehr hohen Kaufkraft und ohne Sprachbarrieren erscheint die Schweiz als einer der attraktivsten Märkte für Unternehmen, die expandieren wollen. Doch es gibt auch Fallstricke. Grund genug, einmal näher hinzuschauen. Alles Wissenswerte zum Schweizer E-Commerce ist hier zusammengestellt.
Zahlen und Fakten, Wirtschaft, Export- und Importpartner, Währung
Die Schweiz ist ein Bundesstaat mit 26 Kantonen. Sie grenzt im Norden an Deutschland, im Osten an Österreich und Liechtenstein, im Süden an Italien und im Westen an Frankreich. Die Schweiz ist knapp 41.300 km² groß – etwas kleiner als Niedersachsen – und hat 8,96 Mio. Einwohnerinnen und Einwohner. Zürich, Genf, Basel, Lausanne, Bern, Winterthur, Luzern und St. Gallen sind die acht größten Städte und Wirtschaftszentren.
Die Bevölkerung der Schweiz ist ungleichmäßig verteilt: Im infrastrukturell sehr gut erschlossenen Mittelland im Nordwesten der Schweiz leben mehr als zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung. Hier gibt es ein ausgezeichnetes Eisenbahnnetz und eine große Zahl von Autobahnverbindungen. In den Alpen, in der Mitte und im Osten des Landes ist die Infrastruktur dagegen spärlicher – allerdings ist hier auch die Bevölkerungsdichte deutlich geringer und die Verkehrserschließung vergleichsweise gut.
Gemessen am HDI, dem Wohlstandsindikator der Vereinten Nationen, ist die Schweiz mit einem Wert von 0,962 das Land mit der höchsten menschlichen Entwicklung der Welt (vgl. Deutschland: 0,942; Österreich: 0,916). Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) der Schweiz beträgt rund 905 Milliarden US-Dollar, kaufkraftbereinigt liegt das BIP pro Kopf bei rund 89.500 US-Dollar (vgl. BIP pro Kopf in Deutschland: 64.080 US-Dollar). Gemessen am BIP pro Kopf ist die Schweizer Wirtschaft etwa so stark wie die von Irland und Norwegen.
Die Schweizer Wirtschaft stützt sich vor allem auf den Dienstleistungssektor. Laut Daten von Statista trägt der Dienstleistungssektor 73,8 Prozent zur gesamten Bruttowertschöpfung bei, das verarbeitende Gewerbe 25,6 Prozent.
Deutschland ist der wichtigste Importpartner (27,4 %) und der zweitwichtigste Exportpartner (15,7 %) der Schweiz. Weitere wichtige Export- und Importpartner sind Frankreich (Exporte: 5,8 %; Importe: 8,6 %), Italien (E: 7,4 %; I: 9,1 %), China (E: 5,7 %; I: 8,7 %), die USA (E: 18,3 %; I: 6,5 %), Österreich (E: 2,7 %; I: 4,7 %), Spanien (E: 3,6 %; I: 3,8 %), Slowenien (E: 4,1 %; I: 2,9 %) und Großbritannien (E: 3,1 %; I: 1,9 %).
Der Schweizer Franken (CHF) ist in 100 Rappen unterteilt. In der italienischen Exklave Campione d’Italia ist der Schweizer Franken gesetzliches Zahlungsmittel. Auch in der deutschen Exklave Büsingen am Hochrhein wird überwiegend mit Schweizer Franken bezahlt, obwohl der Euro gilt. Der aktuelle Umrechnungskurs beträgt 0,97 Schweizer Franken für einen Euro (Stand: 08.07.2024).
Internetnutzung, Kaufverhalten, Unternehmen, Zahlungsarten, Versand
Wie in den meisten mitteleuropäischen Ländern ist das Internet auch in der Schweiz weit verbreitet. Der Anteil der Schweizerinnen und Schweizer mit Internetzugang liegt bei 96 Prozent. Ebenso hoch ist der Anteil derjenigen, die ein Smartphone besitzen.
Entsprechend weit entwickelt ist der mobile E-Commerce. Mit einem Wachstum von über 28 Prozentpunkten im Pandemiejahr 2020 erreicht der Schweizer E-Commerce-Markt ein Volumen von 12 Mrd. Schweizer Franken und macht knapp 10 Prozent des gesamten Detailhandels in der Schweiz aus. Auch für die kommenden Jahre wird mit einem anhaltenden Wachstum gerechnet, wenn auch auf einem deutlich niedrigeren Niveau von rund 7 Prozent.
Der Schweizer E-Commerce-Markt ist traditionell stark auslandsorientiert: Das liegt vor allem daran, dass die Preise in der Schweiz durchschnittlich 30 bis 40 Prozent höher sind als in den Nachbarländern. Ein weiterer Faktor ist die fehlende Sprachbarriere: Drei der vier offiziellen Landessprachen der Schweiz – Deutsch, Französisch und Italienisch – sind Nachbarsprachen. Kein Wunder also, dass im Jahr 2023 rund 15 Prozent des Online-Umsatzes durch grenzüberschreitende Online-Einkäufe erzielt wurden.
Insgesamt kaufen Schweizerinnen und Schweizer Waren und Dienstleistungen im Wert von rund 14 Mrd. Schweizer Franken pro Jahr im Internet ein. Als Hauptgrund für den Einkauf im Ausland wird der Preis genannt. Da die Schweiz aber nicht Mitglied des Europäischen Wirtschaftsraums ist, müssen Schweizer Kundinnen und Kunden beim Einkauf im Ausland Zölle bezahlen. Dadurch verringert sich die Preisdifferenz zwischen der Schweiz und dem Ausland.
Zudem zeichnet sich folgender Trend ab: Seit 2019 sinkt das Gesamtvolumen der grenzüberschreitenden Transaktionen, während der Gesamtproduktwert steigt. Dies kann als Indiz gewertet werden, dass nicht mehr nur der Preis für Auslandeinkäufe ausschlaggebend ist. Denn auch zur Umgehung von Zöllen gibt es Möglichkeiten: Eine gängige Praxis ist die Lieferung an Abholstationen in grenznahen Orten in Deutschland oder Frankreich, wo der Kunde die Ware selbst abholen und über die Grenze bringen kann.
Dabei verfügt der typische Schweizer E-Commerce-Kunde über ein dickes Portemonnaie: Mit knapp 1750 Euro ist der durchschnittliche Betrag, den eine Person pro Jahr im E-Commerce ausgibt, einer der höchsten in Europa. Fast 57 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer kaufen mindestens einmal im Monat online ein. Nur 6 Prozent haben noch nie im Internet eingekauft. Im Hinblick auf die zunehmende Alterung der Schweizer Gesellschaft ist es auch von Bedeutung, dass die Seniorinnen und Senioren dem Internet immer aufgeschlossener gegenüberstehen: Mittlerweile nutzen fast 80 Prozent der Seniorinnen und Senioren das Internet und knapp ein Drittel von ihnen kauft online ein.
Einige Schweizer E-Commerce-Unternehmen können durchaus mit den internationalen Giganten in der Unternehmenslandschaft mithalten: Zu den umsatzstärksten Websites in der Schweiz gehören neben amazon.de, eBay und Zalando auch das hiesige Internetauktionshaus Ricardo.ch, das Online-Warenhaus Galaxus.ch und der Elektronikhändler Digitec.ch. Die beiden letztgenannten gehören zur selben Gruppe. Im Schweizer E-Commerce werden vor allem Lebensmittel, Elektronik und Mode verkauft.
Laut einer Umfrage vom Juni 2023 geben 75 Prozent der Befragten in der Schweiz an, online am liebsten mit der Kreditkarte zu bezahlen, 71 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer bevorzugen die Bezahlung per Rechnung. Dass die Überweisung als Zahlungsmittel so beliebt ist, liegt nicht zuletzt an den entsprechenden Dienstleistungen von PostFinance, der Bank der Schweizerischen Post. Mit einem Anteil von 16 Prozent an den E-Commerce-Transaktionen ist auch die Zahlung per Digital Wallet, vor allem via Paypal, ein wichtiges Zahlungsmittel.
Die Schweizerische Post ist auch der mit Abstand wichtigste Versanddienstleister in der Schweiz. Knapp 75 Prozent der E-Commerce-Unternehmen geben an, ihre Sendungen mit der Post zu verschicken. Weitere Anbieter sind DPD und DHL mit einem Marktanteil von 13 bzw. 12 Prozent.
Sprache
Die Schweiz hat vier Landessprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch und Rätoromanisch.
Die rätoromanische Minderheit, die fast 40.000 Personen umfasst, spricht mehrheitlich auch Deutsch.
Die deutschsprachige Gemeinschaft ist mit knapp 62 Prozent der Schweizer Bevölkerung die größte. Gesprochen wird meist in schweizerdeutschen Dialekten, geschrieben wird Schweizer Hochdeutsch, das vor allem im Wortschatz, aber auch in der Rechtschreibung einige Unterschiede zur bundesdeutschen Variante aufweist. Mehr über die Schweizer Variante des Deutschen erfahren Sie hier.
Die Französischsprachigen bilden mit knapp 23 Prozent der Bevölkerung die zweitgrößte Sprachgruppe. Sie leben vor allem in der Westschweiz und sprechen in der Regel Standardfranzösisch, wie es auch in Frankreich gesprochen wird.
Italienisch wird von knapp acht Prozent der Schweizerinnen und Schweizer gesprochen, vor allem im Südosten des Landes. Auch hier weicht die schweizerische Variante teilweise vom Standarditalienischen ab. Mehr dazu hier.
Wissenswertes zu Freihandelsabkommen, Zollsystem, Herkunftsbezeichnung, Bestimmungslandprinzip
Für Waren der gewerblichen und industriellen Produktion mit nachgewiesenem EU-Ursprung besteht im Rahmen des Freihandelsabkommens aufgrund der Mitgliedschaft der Schweiz in der EFTA Zollfreiheit. Da die Schweiz die Verhandlungen über das institutionelle Rahmenabkommen mit der EU bis Ende Mai 2021 abgeschlossen hat, wird derzeit über das weitere Vorgehen im bilateralen Handel verhandelt.
Das Schweizer Zollsystem ist im Wesentlichen ein Gewichtszollsystem. Maßgebend für die Verzollung ist somit das Eigengewicht der Ware inklusive Verpackung und allfälligem Füllmaterial. Die Verpackung ist somit ein wichtiger Bestandteil der Ware, da sie mitverzollt und versteuert wird.
Des Weiteren ist auf die Richtigkeit der Herkunftsbezeichnung zu achten, da die missbräuchliche Verwendung von Ursprungsbezeichnungen wie „schweizerisch“ oder „Made in Switzerland“ rechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Dies betrifft auch fremdsprachige Übersetzungen der Herkunftsangabe.
Wichtig zu wissen für den E-Commerce: Richtet sich das Angebot an die Zielgruppe Schweiz, so gilt grundsätzlich das sogenannte Herkunftslandprinzip. Danach sind – im Falle eines deutschen Händlers – die deutschen Rechtsgrundlagen zu beachten. In vielen Ausnahmefällen, die unter anderem das Konsumentenschutzrecht, das Wettbewerbsrecht oder die Informations-, Kennzeichnungs- und Nachmarktpflichten für Waren betreffen, gilt jedoch das sogenannte Bestimmungslandprinzip. Danach sind die schweizerischen Rechtsgrundlagen zu beachten. Dabei ist zu beachten, dass die Schweiz über kein eigenes E-Commerce-Gesetz verfügt, sondern verschiedene Rechtsgrundlagen bestehen.
Fazit
Für expansionswillige deutsche Unternehmen ist die Schweiz zweifellos eine der ersten Optionen. Die hohe Kaufkraft, die geografische Nähe und das große Interesse an ausländischen Angeboten sind Gründe genug. Bei so vielen Vorteilen darf man aber nicht die Augen vor den Nachteilen des Schweizer E-Commerce-Marktes verschließen: An erster Stelle sind hier die zu entrichtenden Zollgebühren und der damit verbundene organisatorische Aufwand zu nennen, aber auch die hohen Anforderungen an die Qualität der Produkte, die komplexe Sprachlandschaft und die bereits bestehende starke Konkurrenz.
Quellen
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Autor: Eurotext Redaktion
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