Eigentlich ist der Anspruch von Übersetzerinnen und Übersetzern, stets fehlerfreie Übersetzungen zu liefern. Trotzdem gibt es immer wieder Fälle, in denen bewusst falsche Texte geliefert werden. Oder sagen wir lieber: nicht ganz korrekte Texte. Dafür kann es mehrere Gründe geben.

Um es gleich vorweg zu nehmen: Natürlich reden wir hier nicht von grob sinnentstellenden Fehlern, miss- oder unverständlichen Texten oder komplett “falschen” Übersetzungen. Es geht vielmehr um Texte, die nur leicht vom Sinn des Ausgangstextes abweichen oder formale Fehler aufweisen. Die Kernaussage des ursprünglichen Textes muss natürlich auch weiter korrekt und verständlich wiedergegeben werden. Außerdem finden “falsche” Übersetzungen ausschließlich mit Absprache und Zustimmung des Kunden statt!

1. Einheitliches Erscheinungsbild

Der vermutlich häufigste Fehler, der absichtlich begangen wird, ist eine falsche Groß- und Kleinschreibung. Hier gibt es je nach Sprache große Unterschiede: Manche nutzen die Großschreibung am Anfang von allen Substantiven, andere nur bei Namen, andere nur am Satzanfang. Manche unterscheiden dabei zusätzlich zwischen Überschriften und normalem Fließtext. Und manche kennen überhaupt keine Großschreibung. Bei einer normalen Übersetzung orientiert man sich natürlich daran, was in der Zielsprache korrekt ist.

Wenn es aber um ein Dokument geht, in dem sehr viele Sprachen vorkommen, kann das optisch für ziemliches Chaos sorgen. Erst kürzlich haben wir für einen Kunden eine Anleitung übersetzt, in der der gleiche kurze Text in über 20 Sprachen vorkam. Ein Teil dieses Textes war eine Liste mit Aufzählungspunkten. Solche Aufzählungspunkte werden in manchen Sprachen kleingeschrieben, in anderen mit großem Anfangsbuchstaben. Im Deutschen ist es noch komplizierter: Hier hängt es davon ab, ob zum Beispiel ein Substantiv oder ein Verb am Anfang steht. Zumindest dann, wenn es sich bei den einzelnen Listeneinträgen nicht um vollständige Sätze handelt. Im Ergebnis sorgte der ständige Wechsel zwischen Klein- und Großschreibung für ein sehr unruhiges Schriftbild. Der Kunde hatte sich deshalb schon im Vorfeld dafür entschieden, die Aufzählungspunkte konsequent groß zu schreiben.

Dafür gab es einigen Widerspruch von Übersetzern, die anmerkten, dass das in ihrer Sprache völlig unüblich sei. Am Ende entscheidet aber natürlich der Kunde. Und der kam zu dem Schluss, dass ihm das Schriftbild hier wichtiger ist als absolute Korrektheit. Zumal dieser “Fehler” den Text weder inhaltlich falsch noch unverständlich macht.

2. Konsistenz

Manchmal werden Fehler bewusst gemacht, weil man sie “schon immer so gemacht” hat”: Wenn Kunden den Übersetzungsdienstleister wechseln oder es Veränderungen im Team gibt, kommt es gelegentlich vor, dass plötzlich einzelne Begriffe infrage gestellt werden, die schon lange so verwendet wurden. Ein Begriff, der zwar nicht völlig falsch ist, aber eben auch nicht die optimale Übersetzung. Soll man also sämtliche Texte, Kataloge, Anleitungen, Onlineshops etc. überarbeiten, ggf. sogar neu drucken lassen, nur weil ein einziger Begriff nicht 100%ig passt?

Häufig wird dann pragmatisch entschieden: So schlimm kann der Fehler ja nicht sein, wenn er so lange unbemerkt geblieben ist. Und der Aufwand für die Korrektur steht in keinem vernünftigen Verhältnis zum Nutzen. Also wird der Übersetzer informiert, dass der fehlerhafte Begriff auch in Zukunft verwendet werden soll. So sind die Texte zwar nicht perfekt, aber immerhin konsistent.

Wichtig ist in solchen Fällen, solche grundsätzlichen Entscheidungen zur Terminologie sowohl in den Term-Datenbanken als auch in den Styleguides festzuhalten. Nur so ist sichergestellt, dass nicht versehentlich andere Begriffe verwendet werden und Entscheidungen im Nachhinein begründet werden können.

3. Textlänge

Manche Sprachen kommen schneller auf den Punkt als andere. Während englische Texte mit relativ wenigen Worten auskommen, benötigen französische oder russische Texte für die gleiche Aussage mitunter fast die doppelte Menge an Buchstaben. Wieder anders sieht es bei asiatischen Sprachen aus, bei denen einzelne Schriftzeichen für Silben oder ganze Wörter stehen. Was bedeutet das für einen wunderschön designten Katalog oder ein Magazin, wenn nach einer Übersetzung plötzlich deutlich mehr Text untergebracht werden muss? Oder deutlich weniger? Und was passiert, wenn man z.B. im Onlinebereich mit festen Zeichenbegrenzungen konfrontiert ist?

Mitunter muss dann auch in den Text eingegriffen werden. Abkürzungen kommen zum Einsatz, Füllwörter werden gestrichen, lange Worte durch kurze ersetzt. Wenn das nicht ausreicht, werden weniger wichtige Sätze komplett weggelassen. Spätestens dann gehen Informationen verloren, die Aussage des Textes ändert sich – die Übersetzung ist möglicherweise nicht mehr fehlerfrei.

Auch in solchen Fällen muss also behutsam vorgegangen werden: So korrekt wie möglich, so “falsch” wie nötig. Ganz wichtig ist dabei, dass der Kunde in die Entscheidung mit einbezogen wird.

4. Vergleichbarkeit

Normalerweise werden bei Übersetzungen auch die Maßeinheiten an das entsprechende Zielland angepasst: Aus Kilometern werden Meilen, aus Celsius werden Fahrenheit. So hat jeder eine konkrete Vorstellung.

Vor einer Weile hatten wir den Fall, dass in einer Tabelle mehrere Sprachen und Produkte nebeneinander standen. Darunter auch einige Werte in den jeweils üblichen Einheiten. Der Kunde bemängelte, dass dadurch aber die Werte nicht mehr miteinander vergleichbar seien. Nach einiger Diskussion einigten wir uns darauf, dass es in diesem Fall am besten ist, einheitliche Einheiten zu verwenden. Auch wenn das bedeutet, dass nun manche Kunden mit Einheiten konfrontiert sind, die ihnen nicht geläufig sind.

Fazit

Übersetzungen existieren nicht im luftleeren Raum. Sie sind immer eingebunden in Kontexte, Medien, Formate oder Prozesse. Hier müssen sie “funktionieren”, sonst sind sie wertlos. Manchmal kommt es dabei zu Konflikten, die sich nur mit Kompromissen unter den Beteiligten lösen lassen. Dann kann sogar eine “nicht ganz korrekte Übersetzung” trotzdem “die bestmögliche Übersetzung” sein.




autor_eurotext_100Autor: Eurotext Redaktion

Wir erklären, wie Internationalisierung funktioniert, geben Tipps zu Übersetzungsprojekten und erläutern Technologien und Prozesse. Außerdem berichten wir über aktuelle E-Commerce-Entwicklungen und befassen uns mit Themen rund um Sprache.

 

Bitte beachten Sie: Auch wenn wir in unseren Beiträgen gelegentlich Rechtsthemen ansprechen, stellen diese keine Rechtsberatung dar und können eine solche auch nicht ersetzen. Wenn Sie konkrete Fragen haben, lassen Sie sich bitte von einem Anwalt beraten.