Auch die Türkei ist aus der Sicht deutscher Unternehmen, die digital verkaufen, ein mögliches Expansionsziel. Welche Merkmale den E-Commerce in der Türkei kennzeichnen und was Unternehmen im Hinblick auf den digitalen Handel beachten müssen, zeigen wir hier.

Zahlen und Fakten über das Land

Die Türkei ist ein transkontinentaler Einheitsstaat in der vorderasiatischen Region Anatolien und der südosteuropäischen Balkanhalbinsel. Das Land erstreckt sich über eine Fläche von rund 783.500 km² und teilt sich geographisch in 7 Regionen. Die Türkei grenzt im Westen an Bulgarien und Griechenland, im Süden an Syrien und den Irak, im Osten an Georgien, Armenien und den Iran. In der Türkei leben rund 84,7 Mio. Menschen.

Die Stadt Ankara, Hauptstadt der Türkei und der gleichnamigen Provinz in Anatolien, ist die zweitgrößte Stadt nach Einwohnerzahl. Rund 5,7 Mio. Menschen leben in Ankara. Nur noch Istanbul beheimatet mehr Menschen. Istanbul liegt im Westen der Türkei und umschließt den Bosporus, die natürliche Grenze zwischen Europa und Asien, und ist das wichtigste kulturelle und wirtschaftliche Zentrum des Landes. Die Metropolregion Istanbuls (15,8 Mio.) beheimatet allein fast ein Fünftel der Bevölkerung und gehört zu den größten Metropolen der Welt. Weitere Großstädte sind Izmir (4,4 Mio.), Bursa (3,1 Mio.), Antalya (2,6 Mio.) und Adana (2,2 Mio.).

Die Türkei ist eine präsidentielle Republik. Das politische System sowie die Verfassung des Landes wurden im Laufe der letzten 40 Jahren mehrmals durch Reformen und Volksabstimmungen abgeändert. Nach der Verfassung von 1982 war die Türkei eine parlamentarische Republik mit einem Ministerrat und einer unabhängigen Justiz. Im Jahr 2010 wurde im Land in einem Referendum über eine Verfassungsreform entschieden, mit der die bisher deutliche Gewaltenteilung wesentlich abgeschwächt wurde. Im Jahr 2017 gab es ein neues Verfassungsreferendum, in dem sich die Mehrheit der wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger für das heutige parlamentarische System entschieden. Damit wurde die Rolle des Staatspräsidenten als Chef der Exekutive gestärkt.

Gemessen am HDI, dem Wohlstandindikator der Vereinten Nationen, ist die Türkei mit einem Wert von 0,838 vor Montenegro (0,832) und nach Argentinien (0,842) das 48. Land der Welt nach menschlicher Entwicklung (vgl. Deutschland: 0,942; Österreich: 0,916). Das türkische Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt bei 844,5 Mrd. US-Dollar, kaufkraftbereinigt liegt das BIP pro Kopf bei rund 35.600 US-Dollar (vgl. deutsches BIP pro Kopf: 45.700 US-Dollar).

Seit 1999 ist die Türkei EU-Beitrittskandidat. Das Land ist Mitglied der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung OECD, der Vereinten Nationen sowie der G20. Die türkische Lira (TRY), die Währung der Republik Türkei, unterteilt sich in 100 Kuruş. Aktuell (12.09.2022) beläuft sich der Wechselkurs auf 18,51 türkische Lira pro Euro. Der Zeitunterschied zwischen der Türkei und Deutschland beträgt 1 Stunde.

Sprache und Lokalisierung

Die türkische Sprache, die in der Türkei gesprochen wird, wird in der Sprachwissenschaft auch Türkeitürkisch bezeichnet. Sie gehört zu dem südwestlichen Zweig der türkischen Sprachen bzw. Turksprachen und ist mit ca. 75 Mio. Sprecherinnen und Sprecher die meistgesprochene Turksprache. Türkisch ist in die Amtssprache der Republik Türkei und der Türkischen Republik Nordzypern und wird auch in Teilen Nordmazedoniens, Rumäniens und Kosovos als lokale Amtssprache gesprochen. Türkisch wird außerdem von den vielen türkischstämmigen Migrantinnen und Migranten gesprochen, die in Europa – vor allem in Deutschland und Österreich – leben.

In der Türkei werden eine Vielzahl von Dialekten gesprochen. Die Istanbuler Varietät ist aus sprachwissenschaftlicher Sicht von besonderer Bedeutung, da sie die Grundlage für die heutigen türkischen Standardsprache bildet. In der Türkei unterscheidet man zwischen den Dialekten der Schwarzmeerregion, Ostanatoliens, Südostanatoliens, Zentralanatoliens, der Ägäisregion und der Mittelmeerregion. Das lateinische Alphabet wurde 1928 eingeführt und ersetzte die traditionelle osmanische türkische Schrift.

Zu beachten für den E-Commerce ist, dass die Kenntnis anderer Sprachen als die Muttersprache unter der türkischen Bevölkerung im Durchschnitt mangelhaft ist. Im Ranking von Education First werden die Englischkenntnisse der Menschen in Ländern mit nichtenglischer Amtssprache ausgewertet. Von den 112 Ländern im Ranking liegt die Türkei auf Platz 70. Education First stuft die Englischkenntnisse der Türkinnen und Türken als gering bis mittelmäßig ein. Somit ist die Übersetzung in die Landessprache für den erfolgreichen Einstieg am türkischen Markt wichtig. Am effektivsten lässt sich die Sprachbarriere mit einer landesspezifischen Übersetzung (Lokalisierung) überwinden, die auch die Besonderheiten der Zielkultur sowie weitere Unterschiede berücksichtigt, wie beispielsweise die andere Währung.

Eckdaten über Wirtschaft, Import und Export

Das türkische Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt bei 844,5 Mrd. US-Dollar, kaufkraftbereinigt entspricht dies rund 3.050 Mrd. US-Dollar. Das BIP pro Kopf liegt bei rund 35.600 US-Dollar (vgl. deutsches BIP pro Kopf: 45.700 US-Dollar).

Die türkische Wirtschaft stützt sich auf den Dienstleistungssektor (54,2 %) und das verarbeitende Gewerbe (28,02 %), die Agrarwirtschaft spielt eine geringere Rolle (6,68 %). Deutschland ist neben Russland und China eines der wichtigsten Bezugsmärkte und Wirtschaftspartner der Türkei. Die Türkei exportiert vor allem Textilien, Kleidung sowie Produkte aus der Agrarwirtschaft und Maschinen. Letztere gehören neben Chemikalien und Erdölprodukten, Transportmitteln und sonstigen Konsumgütern auch zu den wichtigsten Importen.

Trends im Hinblick auf die Internetnutzung

Die Penetrationsrate des Internets in der Türkei liegt bei rund 70 Prozent und soll Schätzungen von Statista zufolge um weitere 15 Prozentsatzpunkte innerhalb der nächsten 5 Jahre ansteigen. Mehr als die Hälfte der befragten Nutzerinnen und Nutzer geben an, bevorzugt vom PC aus zu surfen. Die Zahl derjenigen Nutzerinnen und Nutzer, die das Internet bevorzugt am Smartphone verwenden, wächst zunehmend. Aktuell surfen 78 Prozent der Türkinnen und Türken, die ein Smartphone besitzen, vom Smartphone los.

Die aktivste – und somit für den E-Commerce interessante – Altersgruppe ist jene der jungen Erwachsenen zwischen 25 und 34 (71 Prozent), gefolgt von jener der 16- bis 25-Jährigen (66 Prozent) und jener der 35- bis 44-Jährigen (62 Prozent).

Eine kauforientierte Nutzung des Internets ist in der Türkei vorwiegend unter den Männern festzustellen. Laut Statista sind 58 Prozent der türkischen Nutzerinnen und Nutzer, die sich über das Internet über Produkte und Leistungen informieren, diese vergleichen und digital beziehen, männlich. Der Gendergap war auch im Zeitraum 2010-2020 festzustellen und beträgt 10 bis 15 Prozentsatzpunkte. Der Trend ist stabil.

Ein weiterer Unterschied im Hinblick auf die Internetnutzung in der Türkei lässt sich zwischen den Nutzerinnen und Nutzern mit niedrigem und mittlerem Bildungsabschluss und jenen mit höherer Bildung feststellen. Bei Letzteren sei die Bereitschaft, digital einzukaufen, deutlich höher. Nur 34 Prozent der befragten Konsumentinnen und Konsumenten mit niedrigem bzw. mittlerem Bildungsabschluss gegen 72 Prozent der Konsumentinnen und Konsumenten mit höherer Bildung nutzen das Internet, um Produkte und Leistungen zu erwerben. Der soziale Gap beträgt somit fast 50 Prozentpunkte.

Unter den sozialen Netzwerken erfreuen sich in der Türkei vor allem Instant-Messaging-Plattformen besonders großer Beliebtheit. Eine Umfrage sieht WhatsApp, Facebook Messenger und WeChat vorn.

Trends im Hinblick auf das Kaufverhalten

Einer Auswertung von Statista zufolge belaufe sich der Umsatz des türkischen E-Commerce auf rund 16 Mrd. US-Dollar – mehr als den schwedischen, allerdings weniger als den niederländischen Markt. Allein die Elektronikbranche sorgt für die meisten Umsätze. Im Jahr 2021 wurden in der Türkei Elektronikgeräte im Wert von 11,3 Mrd. US-Dollar über das Internet verkauft. Das Modesegment folgt mit einem Umsatz von 5,3 Mrd.

Die Elektronikbranche ist nicht nur das erste Segment nach generiertem Umsatz, sondern auch nach Zahl der Konsumentinnen und Konsumenten. Rund 31 Mio. Türkinnen und Türken kaufen Elektronikgeräte online ein – Tendenz steigend. Insgesamt kauften im Jahr 2021 64 Prozent der türkischen Konsumentinnen und Konsumenten zwischen 16 und 64 Jahren mindestens einmal Produkte oder Dienstleistungen über E-Commerce-Kanäle ein.

Auch in der Türkei bleibt das bargeldlose Zahlen per Kredit- oder Debitkarte die beliebteste Option bei Onlineeinkäufen. 61 Prozent der befragten Konsumentinnen und Konsumenten greifen bei der Zahlung bevorzugt auf die Karte zurück; die Überweisung als Zahlungsmethode wählen 13 Prozent.

Unter den heimischen Marktplätzen schneidet trendyol.com mit einem Umsatz von 3,2 Mrd. US-Dollar im Jahr 2021 besonders gut ab. Es folgen die Mitbewerber hepsiburada.com (1,3 Mrd. US-Dollar) und lcwaikiki.com (514 Mio. US-Dollar).

Wissenswertes zu den Import- und Zollbestimmungen

Die Importbestimmungen werden im Rahmen der Zollunion zwischen der Türkei und der EU laufend aktualisiert. Grundsätzlich unterliegen auch sowohl inländische als auch ausländische Firmen der Mehrwertsteuerpflicht. Eine Ausnahmeregelung gibt es für Kleinunternehmen und in besonderen Fällen, beispielsweise wenn Waren für staatlich geförderte Investitionsprojekte in das Land eingeführt werden. Exporte werden auch nicht versteuert. Bei Waren, die in der Türkei weiterverarbeitet und dann wieder exportiert werden, entfällt die Importsteuer. In diesem Fall hat der Importeur einen entsprechenden Antrag beim Wirtschaftsministerium einzureichen.

Den Warenaustausch zwischen der Türkei und der EU regeln drei Vereinbarungen:

  • Die Zollunion EU-Türkei
  • Das Freihandelsabkommen Türkei/EGKS
  • Die Handelsregelung für Agrarzeugnisse.

Die Zollunion betrifft industriell-gewerbliche Waren (mit Ausnahmen) und landwirtschaftliche Verarbeitungsprodukte. Es herrscht Zollfreiheit im gegenseitigen Warenverkehr, Voraussetzung ist aber, dass die Waren entweder in der EU oder in der Türkei hergestellt wurden. Waren, die in Drittländer hergestellt wurden, werden verzollt.

Fazit

Auch die Türkei ist aus der Sicht deutscher Unternehmen, die digital verkaufen, ein mögliches Expansionsziel. Im transkontinentalen Land in der Region Anatolien zwischen Südosteuropa und Westasien sind alle Voraussetzungen gegeben, die für den digitalen Handel erforderlich sind – von der zunehmend hohen Internetpenetrationsrate über die Präsenz großer Ballungsräume und Wirtschaftszentren bis zu einem mehrheitlich digitalaffinen Zielpublikum, welches das Internet gerne einsetzt, um sich über Produkte und Waren zu informieren und diese zu erwerben. Der türkische E-Commerce-Markt ist aber noch nicht ausgereift. Die älteste Bevölkerungsschicht beteiligt sich wenig daran und es gibt sowohl einen geschlechtsbezogenen als auch einen sozialen Gap, wodurch noch nicht alle Konsumentinnen und Konsumenten über das Internet erreicht werden können. Ausgeschlossen sind dabei vor allem Frauen und Menschen mit niedrigem bis mittlerem Bildungsabschluss. Auch die politische und wirtschaftliche Lage können als Hindernis betrachtet werden, denn die hohe Inflation und politische Spannungen sorgen für gewissen Unsicherheiten. Zu beachten sind für den erfolgreichen Einstieg am türkischen Markt auch die Sprachbarriere und die Import- und Zollbestimmungen. Dabei handelt es sich allerdings um leicht überwindbare Hindernisse.

 



Quellen


autor_eurotext_100Autor: Eurotext Redaktion

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