Für die meisten Menschen müssen Schriftarten nur eines: schön aussehen. Und natürlich gut lesbar sein. Dass sie aber auch bei Internationalisierungsprojekten eine wichtige Rolle spielen und für einige Probleme sorgen können, mussten wir erst kürzlich wieder feststellen:
Der konkrete Fall
Es ging um einen relativ großen Kunden von uns, mit dem wir schon viele Übersetzungsprojekte erfolgreich abgeschlossen haben. Meist handelte es sich dabei um Drucksachen wie Kataloge, Bedienungsanleitungen oder Marketingmaterial.
Der Kunde hat sich vor einiger Zeit eine eigene Schriftart gestalten lassen, die Teil seines Corporate Designs ist und nur von ihm verwendet wird. Eine wirklich schöne Schrift, die obendrein gut lesbar ist und somit ihren Zweck wunderbar erfüllt. Bei den bisherigen Übersetzungen z.B. ins Portugiesische und Italienische gab es auch nie Probleme.
Nun standen sehr dringende Übersetzungen ins Tschechische und Norwegische an. Die Übersetzer waren pünktlich fertig geworden, die Dokumente mussten nur noch in InDesign fertiggestellt werden. Und da fingen die Probleme an: Viele der verwendeten Sonderzeichen fehlten, wurden nicht oder – noch schlimmer – falsch dargestellt. Mit den Übersetzern musste geprüft werden, was genau falsch war. Und mit dem Kunden musste abgestimmt werden, wie wir die fehlenden Zeichen kurzfristig ersetzen können. Sowas dauert. Am Ende konnten die Schriftenprobleme gelöst und die übersetzten Dateien fehlerfrei geliefert werden, allerdings nur mit zeitlicher Verzögerung.
Wo lauern Probleme?
Das grundlegende Problem ist, dass es weltweit eine gigantische Anzahl von Buchstaben, Schriftzeichen und Sonderzeichen gibt. Allein die chinesische Schrift kennt 70.000 unterschiedliche Zeichen (von denen allerdings nur ein Teil tatsächlich genutzt wird). Viele asiatische Sprachen bzw. Schriften sind ähnlich umfangreich. Dazu kommt eine Vielzahl von Akzenten, Umlauten, Betonungszeichen etc. Technisch ist es möglich, alle diese Zeichen in einer Schrift-Datei zu speichern. Aber nur die wenigsten Schriftarten sind wirklich so umfangreich. Die meisten sind auf bestimmte Länder und Märkte zugeschnitten, Schriften für westliche Ländern enthalten deshalb häufig nur lateinische Buchstaben oder sogar nur eine Auswahl davon.
Vor allem Schmuck- und Designschriften enthalten häufig nur die wesentlichsten Zeichen, da ihre Entwicklung aufwändig und damit teuer ist und es sich einfach nicht lohnen würde, Zehntausende von Zeichen zu gestalten. Das Problem ist auch Gestaltern aus Deutschland bekannt, da solchen Schriften häufig die deutschen Umlaute oder z.B. das “ß” fehlt.
Ein ganz anderes Problem kann entstehen, wenn Schriften ungewöhnliche Formate haben: Manche Schriften sind sehr breit und benötigen deshalb relativ viel Platz. Das wird dann zum Problem, wenn man in eine Sprache übersetzt, die “mehr Worte macht”. Vor allem Französisch und Russisch sind dafür bekannt, dass sie für den gleichen Inhalt deutlich mehr Text benötigen. Das Gegenteil ist beim Englischen der Fall, bei dem Texte meist spürbar kürzer sind. Das kann dazu führen, dass die russische Übersetzung doppelt so lang wie der englische Ausgangstext ist. Vor allem in Printmedien wird dann schnell der Platz knapp und man muss die Texte “quetschen” oder die Schrift verkleinern. Wenn dann noch eine sehr breite Schrift mit großen Zeichenabständen verwendet wird, lässt sich die Textmenge kaum unterbekommen.
Wie sieht die Lösung aus?
Wenn absehbar ist, dass man eine Schrift für verschiedene Sprachen nutzen will, sollte man von vornherein sicherstellen, dass sie diese auch darstellen kann. Das sollte man zur Sicherheit auch jedes Mal prüfen, wenn neue Märkte und damit neue Sprachen ins Visier genommen werden.
Wenn entsprechende Zeichen fehlen, muss eine Lösung gesucht werden. Man kann ggf. den Designer der Schrift damit beauftragen, die fehlenden Zeichen nachzuliefern. Oder vielleicht gibt es unterschiedliche Schriftartenversionen für unterschiedliche Märkte und man kann die fehlende einfach hinzukaufen. Falls das nicht möglich ist, muss man ggf. eine andere Schrift verwenden, die optisch ähnlich und geeignet ist. Hierbei empfiehlt es sich, nicht nur einzelne Zeichen oder Worte zu ersetzen, sondern in der jeweiligen Sprache komplett auf diese Schrift umzusteigen.
Designerschriften, ganz besonders kostenlose, verfügen häufig nur über sehr wenige Zeichen und sind deshalb ungeeignet. Sogenannte Systemschriftarten und weit verbreitete Schriften eignen sich hingegen sehr gut. Klassiker wie Arial, Times New Roman, Calibri, Open Sans, Myriad, Helvetica oder auch Adobe-Schriftarten wie Kozuka wurden dafür entwickelt, überall auf der Welt zu funktionieren. Bei ihnen kann man davon ausgehen, dass auch exotische Zeichen enthalten sind.
Fazit
Bei Übersetzungsprojekten sollte man das Thema Schriften zumindest im Hinterkopf haben. Vor allem dann, wenn ganz neue Sprachen hinzugenommen werden. Das gilt besonders, wenn man ausgefallene Schriften verwendet. Außerdem kann es nie schaden, bei Übersetzungen in neue Sprachen einen zeitlichen Puffer einzuplanen, um Notfalls auch solche Probleme in Ruhe lösen zu können.
Autor: Eurotext Redaktion
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Bitte beachten Sie: Auch wenn wir in unseren Beiträgen gelegentlich Rechtsthemen ansprechen, stellen diese keine Rechtsberatung dar und können eine solche auch nicht ersetzen. Wenn Sie konkrete Fragen haben, lassen Sie sich bitte von einem Anwalt beraten.