Zuweilen ist es nicht ganz leicht zu unterscheiden, was ein langfristiger Trend ist – und was nur ein kurzlebiger Hype. Im E-Commerce gilt das ganz besonders, denn für einen Nicht-Eingeweihten ist es häufig nicht leicht, hinter die glänzende Fassade zu blicken. Wir untersuchen deshalb ein paar Entwicklungen, die in letzter Zeit für viel Aufsehen gesorgt haben.
Virtual Reality
An der virtuellen Realität wird schon lange gearbeitet. Erste VR-Helme mit eingebauten Monitoren und Headtracking gab es bereits Anfang der 1990er zu kaufen (Forte VFX1). Das Experiment scheiterte vor allem am hohen Preis und der unzulänglichen Technik. Seit einigen Jahren wird wieder ernsthaft daran gearbeitet. Die Technik hat sich seitdem rasant weiterentwickelt und mit einem Durchbruch im Massenmarkt wäre auch der Preis in den Griff zu bekommen. Unterhaltung, Spiele, Kommunikation, Shopping – wenn man den beteiligten Medien und Marketingabteilungen glaubt, wird VR all diese Bereiche revolutionieren. Verschiedene Firmen (z.B. Facebook und Sony) haben enorme Summen in die Entwicklung von VR-Brillen gesteckt und bieten mittlerweile ausgereifte Produkte an. Der große Erfolg bleibt aber bislang aus. Warum?
Dafür gibt es einige Gründe. Auch wenn die Preise deutlich gesunken sind, kostet vernünftige VR-Hardware immer noch viel Geld. Solange sich die Technik nicht durchgesetzt hat, scheuen viele diese Investition. Ein anderes ernstes Problem, für das bislang noch keine Lösung gefunden wurde, ist die sogenannte VR-Krankheit, die bei den meisten Trägern von VR-Brillen schon nach kurzer Zeit zu starken Kopfschmerzen, Unwohlsein und Übelkeit bis hin zum Erbrechen führt. Das Hauptproblem ist aber wohl, dass schlicht und ergreifend niemand weiß, was man damit eigentlich machen soll. Die Technik ist da, es gibt aber kaum ernstzunehmende Anwendungen.
In den letzten Monaten ist es schon wieder deutlich ruhiger um das Thema VR geworden. Selbst große Spielefirmen ziehen mittlerweile in Betracht, dass VR möglicherweise ein totaler Flop wird. Es bleibt abzuwarten, ob die lang ersehnte “Killer-Applikation” noch kommt, die der Technik einen echten Mehrwert verleiht und aus dem Hype ein dauerhaftes Phänomen macht. Wenn nicht, wird VR wohl ein Nischenprodukt bleiben.
Wearables
Technik, die man am Körper (oder in der Kleidung) trägt, wurde und wird als der nächste große Trend gehandelt. Smartwatches, die das Smartphone weitestgehend ersetzen, Fitness-Armbänder, intelligente Brillen, Jacken mit eingebauten Kopfhörern, Displays oder Eingabegeräten etc. Vieles wurde mit großem Tamtam angekündigt. Aber was ist von der Vision wirklich geblieben? Google Glass schaffte es trotz großer medialer Aufmerksamkeit und ausgiebiger Erprobung nie zum fertigen Produkt. Die iWatch schaffte es immerhin bis auf den Markt und durfte sich auch über nennenswerte Verkaufszahlen freuen, konnte viele Versprechen aber nicht einlösen. Mittlerweile haben sich viele Hersteller entschieden, den Funktionsumfang ihrer Smartwatches zugunsten der Akkulaufzeit deutlich abzuspecken. Aus dem PC am Handgelenk wurde eine “normale” Uhr mit Smartphone-Anbindung und Benachrichtigungsfunktion. Für den E-Commerce nutzbar sind sie damit nicht mehr. Wer mobil einkaufen will, nutzt weiterhin das “altmodische” Smartphone.
Lebensmittel online kaufen
Das Einkaufen im Internet wird immer einfacher und ist für die meisten Menschen in Deutschland zur Selbstverständlichkeit geworden. Dadurch steigt natürlich der Konkurrenzdruck und damit auch der Wunsch, neue Geschäftsfelder für den E-Commerce zu erschließen. Eines davon ist sicherlich der Verkauf von Lebensmitteln über das Internet.
Wer sich die Entwicklungen in diesem Bereich anschaut, sollte meinen, dass es nicht mehr lange dauert, bis alle ihr Essen im Netz bestellen, um es sich liefern zu lassen oder im Supermarkt um die Ecke nur noch abholen zu müssen. Viele große Supermarktketten sind in dem Bereich aktiv und entwickeln umfangreiche Konzepte, dazu gibt es viele Anbieter ohne eigene Ladengeschäfte. Und auch der E-Commerce-Gigant Amazon will sich mit Amazon Fresh ein ganz großes Stück vom Kuchen sichern und plant(e) sogar eigene Supermärkte.
Aber warum zögert Amazon so lange mit dem Start in Deutschland? Und warum haben sich andere Anbieter schon wieder zurückgezogen? Lidl hat erst vor Kurzem das Lidl Express-Projekt kurz vor der Einführung gestoppt, aufwändig umgebaute Filialen wurden wieder zurückgebaut.
Möglicherweise deshalb, weil viele Kunden ihr Essen gar nicht im Internet bestellen wollen? Weil es in Deutschland eine sehr gute Infrastruktur an Supermärkten gibt und der Zeitaufwand für eine Onlinebestellung nicht geringer ist als der Besuch eines stationären Marktes? Weil Kunden sich bei einer Lieferung per Post um die Einhaltung der Kühlkette sorgen? Weil sie sich ihre Lebensmittel nicht erst am nächsten Tag in der Postfiliale abholen wollen, weil beim Zustellversuch mal wieder niemand zuhause war? Weil sie gerade bei frischen Lebensmitteln diese gerne selbst sehen, in die Hand nehmen und auswählen möchten?
Ähnlich wie bei der Virtuellen Realität wird hier mit großem Aufwand ein Produkt entwickelt, das zumindest bislang von der Mehrheit der Konsumenten gar nicht nachgefragt wird. Und es ist fraglich, ob sich das selbst mit großen Werbebudgets ändern lässt.
Übrigens: Amazon hat seinen ersten, groß angekündigten “Supermarkt der Zukunft” in Seattle nach der Probephase wieder dichtgemacht. Amazon Go sollte komplett ohne Kassen auskommen und das Einkaufen schneller und schöner machen. Leider war die Technik überfordert, wenn mehr als ein paar Kunden im Laden waren, die Markteinführung wurde deshalb auf unbestimmte Zeit verschoben.
Paketzustellung mit Drohnen
Die Idee, Pakete von unbemannten Drohnen liefern zu lassen, kam nicht von realitätsfernen Visionären, sondern von den ganz Großen der Branche. Vor allem DHL hat immer wieder mit großen Worten die Öffentlichkeit gesucht – und auch gefunden. Schon 2014 wurde verkündet, dass bald die ersten fliegenden Paketboten unterwegs seien. 2016 legte DHL mit einem Pilotprojekt in Reit am Winkl nach und lieferte tatsächlich Sendungen mit autonomen Fluggeräten aus.
Was ist seitdem passiert? Nicht viel. Es drängt sich der Eindruck auf, dass alles nur eine PR-Aktion war. Die flächendeckende Umsetzung liegt anscheinend noch in weiter Ferne. Dazu trägt sicher auch die problematische bzw. ungeklärte Rechtslage bei: Der Drohnenboom der letzten Jahre hat den Gesetzgeber auf den Plan gerufen und es ist unklar, was am Ende daraus wird. Momentan ist die Rechtlage so, dass der Drohnenpilot sich stets in Sichtweite aufhalten muss. Drohnen, die längere Strecken autonom zurücklegen, lassen sich unter dieser Voraussetzung nicht realisieren.
Im Wortsinne bodenständiger agiert Hermes und lässt seit 2016 Pakete testweise von autonom fahrenden Robotern ausliefern. Bislang nur in Hamburg und nur an ausgewählte Kunden. Und ein menschlicher Operator behält dabei per Kamera alles im Blick und greift bei Bedarf ein. Auch hier bleibt abzuwarten, ob aus der Machbarkeitsstudie mehr wird.
Sprachassistenten und Chatbots
Sprachassistenten wie Alexa, Siri und Google sollen eine natürlichere und einfachere Schnittstelle zwischen Mensch und Technik bilden. Gleiches gilt für textbasierte Chatbots, die die zwischenmenschliche Kommunikation in bestimmten Bereichen ersetzen bzw. erweitern sollen. Das betrifft viele Bereiche und beschränkt sich nicht nur auf automatisierten Support und barrierefreies Shopping. Sie ebnen ebenfalls den Weg zur vernetzten Wohnung (Smart Home) und dem Internet of Things. In den USA sind Alexa & Co. Verkaufsschlager, allerdings muss man sehen, wie nachhaltig diese Entwicklung ist.
Vor allem in Deutschland verläuft die angekündigte Revolution bislang relativ zäh. Das liegt sicher auch an den berechtigten Datenschutz-Bedenken vieler Konsumenten. Vernetzte Strukturen mit Internetanschluss stellen immer auch ein Sicherheitsrisiko dar und je mehr solche Produkte im Massenmarkt ankommen, umso mehr häufen sich die Berichte über tatsächliche Probleme. Es liegt aber auch daran, dass der Mehrwert solcher Assistenten letztlich nicht immer so hoch ist wie erwartet. Der anfänglichen Begeisterung folgt meist die Ernüchterung und nicht selten eine Rückkehr zu den alten Verhaltensmustern. Sprachassistenten sind sicher eine Erfindung mit großem Potential, allerdings muss abgewartet werden, wie sie langfristig von den Menschen angenommen werden und wie sie unseren Umgang mit Technik beeinflussen.
Was bleibt?
Einige Visionen, die unser Leben und auch das Einkaufen im Internet revolutionieren sollen, erweisen sich bei näherer Betrachtung als nicht annähernd so gut wie versprochen – oder werden von den Kunden gar nicht gewünscht. Das ist nicht wirklich verwunderlich. Immer wieder wurde in den letzten Jahrzehnten verkündet, dass der Mensch an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter mit ungeahnten Möglichkeiten stünde. Schon in den 1950ern waren viele überzeugt, dass in wenigen Jahren Menschen mit fliegenden Autos zu Kolonien auf dem Mond fliegen würden und Kriege und Energiekrisen vergessen seien. Jeder dieser Träume wurde von der Realität eingeholt.
Vielleicht wäre es besser, allzu vollmundigen Versprechungen mit einer gehörigen Portion Skepsis zu begegnen. Einfach mal abzuwarten. Und sich auf die wirklichen Trends zu konzentrieren, die ihre Praxistauglichkeit bewiesen haben. Die Optimierung für mobile Endgeräte. Denn diese werden den heimischen PC in nächster Zeit zwar nicht komplett ablösen, ihren Marktanteil aber immer weiter ausbauen. Die Internationalisierung. Denn erfolgreiche Shops können mit relativ geringem Aufwand auch in anderen Märkten erfolgreich werden. Die Optimierung von Inhalten und SEO. Denn hochwertige und gut aufbereitete Inhalte, die dem Kunden einen echten Mehrwert bieten, werden in Zukunft ein immer wichtigeres Mittel, um sich von der Konkurrenz abzusetzen. Die Optimierung von Prozessen, um Produkte günstig anbieten UND schnell liefern zu können. Guter Support, der den Kunden ernst nimmt und Probleme löst statt neue zu schaffen. Damit versetzt man zwar niemanden in Erstaunen, erreicht aber eine Kundenbindung, die länger anhält, als der nächste Hype um Lieferdrohnen und VR-Spielereien.
Autor: Eurotext Redaktion
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