Indien ist bunt, vielfältig – und genauso facettenreich ist sein Gesundheitsmarkt. In einem Land, in dem ein Kopfnicken je nach Winkel „Ja“, „Nein“ oder „Vielleicht“ bedeuten kann, treffen über 20 Sprachen und unzählige Kulturen auf moderne Medizintechnologie und traditionelle Heilkunst. Wie gelingt Gesundheitsversorgung in diesem vielsprachigen Mosaik? Werfen wir einen Blick hinter die Kulissen.
Bevölkerung
In Indien leben derzeit über 1,5 Milliarden Menschen – Tendenz steigend. Das Gesundheitssystem steht vor einer doppelten Herausforderung: Zum einen gilt es, Infektionskrankheiten und ihre Folgen zu bekämpfen, zum anderen rückt die Prävention und Behandlung nicht übertragbarer Erkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Leiden zunehmend in den Fokus. In den vergangenen Jahren gab es in mehreren Bereichen aber auch positive Entwicklungen: Die Lebenserwartung ist auf rund 71 Jahre gestiegen (zum Vergleich: etwa 80 Jahre in Deutschland), und die Säuglingssterblichkeit sank bis 2025 auf etwa 25 pro 1.000 Lebendgeburten.
Trotz bedeutender Fortschritte im Bereich der öffentlichen Gesundheit (darunter auch die Ausrottung der Polio und die weitgehende Eindämmung von HIV/AIDS) bleiben übertragbare Krankheiten in Indien eine zentrale Herausforderung. Vor allem in ländlichen Regionen sind Erkrankungen wie Tuberkulose, Malaria und Durchfallerkrankungen weiterhin weit verbreitet. Allein 2024 wurden über 2,5 Millionen Tuberkulose-Fälle gemeldet. Ein ernstes Problem, verschärft durch das zunehmende Auftreten multiresistenter Erreger. Auch vektorübertragene Krankheiten wie Dengue-Fieber und Chikungunya stellen insbesondere während der Monsunzeit eine wiederkehrende Belastung für die städtische Bevölkerung dar.
Gleichzeitig entwickeln sich nicht übertragbare Krankheiten wie Herzerkrankungen, Diabetes und Krebs rasch zu den größten Gesundheitsrisiken für die Bevölkerung. Zusammen mit Verletzungen machen nicht übertragbare Krankheiten mittlerweile mehr als die Hälfte der gesamten krankheitsbedingten Belastung in Indien aus, was eine bedeutende Verlagerung der Prioritäten im Bereich der öffentlichen Gesundheit von Infektionskrankheiten hin zu chronischen Erkrankungen zur Folge hat. Rund 28 % aller Todesfälle gehen auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurück. Diabetes betrifft schätzungsweise 77 Millionen Menschen und Krebserkrankungen verursachen jährlich etwa 900.000 Todesfälle. Die Adipositasrate bei Erwachsenen zählt hingegen zu den niedrigsten in der Region: Nur etwa 8,0 % der Menschen haben einen Body-Mass-Index (BMI) von ≥ 30, verglichen mit 23,5 % in Deutschland.
Auch die Luftverschmutzung trägt erheblich zur Krankheitslast bei. Mit etwa 1,7 Millionen vorzeitigen Todesfällen pro Jahr. Psychische Erkrankungen (wie Depressionen und Angststörungen) betreffen etwa jede siebte Person in Indien, doch das Angebot an entsprechenden Versorgungsangebote ist nach wie vor begrenzt.
Gesundheitsmarkt
Das indische Gesundheitssystem stützt sich auf drei Versorgungsebenen: Die medizinische Grundversorgung erfolgt in ländlichen Gesundheitszentren, die Sekundärversorgung in Bezirkskrankenhäusern und die Tertiärversorgung in spezialisierten Fachkliniken. Sowohl der öffentliche als auch der private Sektor spielen eine wichtige Rolle, wobei der Großteil der ambulanten und stationären Leistungen im Privatsektor erbracht wird.
Indiens öffentliches Gesundheitswesen wird gemeinschaftlich von der Zentralregierung und den Bundesstaaten getragen. Mit lediglich rund 3,3 % des BIP liegen die staatlichen Gesundheitsausgaben jedoch deutlich unter dem Niveau von etwa Deutschland (11,8 %). Diese vergleichsweise geringe Investition führt vielerorts zu einer unzureichenden Ausstattung der staatlichen Gesundheitseinrichtungen. Viele Menschen sind daher auf private Anbieter angewiesen und müssen die Kosten oft aus eigener Tasche tragen. Für große Teile der Bevölkerung bedeutet das eine erhebliche finanzielle Belastung.
Auch bei der personellen Ausstattung des Gesundheitssystems zeigen sich große regionale Unterschiede. In urbanen Zentren wie Delhi, Mumbai oder Chennai ist die Arztdichte deutlich höher und die medizinische Infrastruktur ist meist gut entwickelt. In ländlichen Regionen, etwa in den Bundesstaaten Bihar, Uttar Pradesh oder Chhattisgarh, ist das Angebot an medizinischem Fachpersonal hingegen oft eingeschränkt.
Im Jahr 2020 lag die Ärztedichte in Indien zwar noch bei vergleichsweise niedrigen 7 pro 10.000 Einwohner, doch insgesamt hat sich der Zahl der Pflegekräfte, Hebammen, Zahnärztinnen und -ärzte sowie Apothekerinnen und Apotheker seit 2005 deutlich verbessert. Dies ist auf eine verstärkte Ausbildung im medizinischen, pflegerischen und technischen Bereich zurückzuführen. So setzen Initiativen wie Ayushman Bharat darauf, den Zugang zu Gesundheitsleistungen landesweit zu verbessern. Durch kontinuierliche Investitionen in Infrastruktur, Personal und Finanzierung soll das Wachstum des Gesundheitssystems langfristig gefördert und die Versorgung für alle zugänglicher gemacht werden.
Trends
Der indische Gesundheitsmarkt erlebt einen rasanten Wandel und soll bis 2025 auf 638 Milliarden US-Dollar anwachsen. Dieses Wachstum wird durch steigende Einkommen, eine wachsende Krankheitslast, ein zunehmendes Gesundheitsbewusstsein sowie hohe Investitionen aus dem öffentlichen und privaten Sektor angetrieben. Besonders stark expandieren die Bereiche digitale Gesundheit, Medizinprodukte, Arzneimittel, Diagnostik und Medizintourismus. Für deutsche Unternehmen mit Expertise in Gesundheitstechnologie, Infrastruktur und klinischer Innovation eröffnen sich hier bedeutende Chancen für einen Markteintritt.
Einer der dynamischsten Bereiche ist die digitale Gesundheit. Dank einer jungen, zahlenmäßig starken und technikaffinen Bevölkerung sowie gezielter staatlicher Initiativen wie der Telemedizinplattform eSanjeevani, KI-gestützter Diagnostik und elektronischer Gesundheitsakten entwickelt das Land seine digitale Gesundheitsinfrastruktur schnell und kontinuierlich weiter. Der Umsatz im digitalen Gesundheitsmarkt Indiens wird bis 2025 voraussichtlich 6,33 Milliarden US-Dollar erreichen und mit einer jährlichen Wachstumsrate von 11,82 % bis 2029 auf rund 9,90 Milliarden US-Dollar steigen. Besonders deutsche Unternehmen mit Spezialisierung auf digitale Plattformen, Telemonitoring und Datenanalyse sind gut aufgestellt, um passende Lösungen zu liefern – gerade zur Verbesserung des Zugangs zur Gesundheitsversorgung und der Effizienz in bislang unterversorgten Regionen. Staatliche Digitalisierungsinitiativen sowie die Offenheit für internationale Kooperationen schaffen zusätzlich günstige Rahmenbedingungen. Das größte Marktsegment dürfte der Bereich digitale Fitness und Wellness ausmachen. Hier wird 2025 ein Umsatz von 4,12 Milliarden US-Dollar erwartet.
Rasantes Wachstum wird auch im Bereich Medizinprodukte beobachtet. Experten gehen davon aus, dass der Markt 2025 einen Wert von 7,1 Milliarden US-Dollar erreichen wird. Bei einer jährlichen Wachstumsrate von 9,1 % wird er bis 2030 auf rund 11,0 Milliarden US-Dollar ansteigen. Aus Deutschland gefragt sind besonders Diagnostikgeräte, bildgebende Systeme, chirurgische Instrumente, Beatmungstechnik sowie Reha- und Laborausrüstung – nicht zuletzt wegen ihrer hohen Qualität, Effizienz und Langlebigkeit geschätzt. Auch das geplante Freihandelsabkommen mit der EU wird weitere Chancen für europäische Anbieter mit sich bringen. Branchenbeobachter gehen davon aus, dass unter den Schlüsselbranchen Kardiologieprodukte mit einem prognostizierten Marktwert von 1,0 Mrd. US-Dollar im Jahr 2025 voraussichtlich die Führung übernehmen werden.
Über technologische Lösungen hinaus bieten sich deutschen Pharma- und Biotech-Unternehmen im indischen Gesundheitsmarkt vielfältige Kooperationsmöglichkeiten. Die starke Produktionsbasis des Landes ermöglicht Partnerschaften in Forschung und Entwicklung, Lizenzvereinbarungen sowie Investitionen in zukunftsrelevante Bereiche wie Biosimilars und Kühlkettenlogistik. Indien zählt zu den weltweit führenden Herstellern von Generika und Impfstoffen – ein Umfeld, das internationale Zusammenarbeit fördert. Zusätzlich eröffnen sich Chancen im Rahmen öffentlich-privater Partnerschaften, etwa beim Aufbau spezialisierter Kliniken und dem Ausbau der Gesundheitsinfrastruktur in wachsenden Städten und Regionen.
Gesetzliche Rahmenbedingungen und Regularien
Der Rechtsrahmen für die Zulassung und Vermarktung von Medizinprodukten und Arzneimitteln wird in Indien von der Central Drugs Standard Control Organization (CDSCO) unter der Aufsicht des Ministeriums für Gesundheit und Familienfürsorge überwacht. Im Pharmabereich werden alle neuen Arzneimittel über das New-Drug-Application(NDA)-Verfahren zugelassen. Hierzu müssen klinische Studiendaten, Qualitätssicherungsnachweise und Sicherheitsdokumentation gemäß Arzneimittel- und Kosmetikgesetz von 1940 und den dazugehörigen Vorschriften eingereicht werden. In dringenden Fällen oder bei ungedecktem medizinischem Bedarf bietet Indien auch beschleunigte Zulassungsverfahren wie Notfallzulassungen und Härtefallprogramme an, um Patientinnen und Patienten schneller Zugang zu lebenswichtigen Behandlungen zu ermöglichen.
Medizinprodukte werden entsprechend ihrem Risiko in vier Kategorien eingeteilt. Produkte mit geringerem Risiko (Klasse A und B), wie OP-Handschuhe und chirurgische Zangen, können von den staatlichen Zulassungsbehörden genehmigt werden, während Produkte mit höherem Risiko (Klasse C und D), wie Pulsoximeter und Herzschrittmacher, einer zentralen CDSCO-Zulassung bedürfen. Inländische Hersteller benötigen zudem eine Fertigungslizenz.
Internationaler Gesundheitsmarkt
Ausländische Unternehmen, die Medizinprodukte in Indien vermarkten möchten, müssen die indische Medizinprodukteverordnung (MDR) von 2017 einhalten, die von der CDSCO reguliert wird. Für Zulassungsanträge ist ein indischer Bevollmächtigter erforderlich und alle importierten Produkte benötigen je nach Risikoklasse eine Einfuhrgenehmigung. Je nach Produktklasse werden teilweise auch klinische Studien benötigt. Nach der Zulassung sind Hersteller verpflichtet, ein Vigilanzsystem zur Überwachung von Sicherheitsvorfällen einzurichten und regelmäßige Berichte an die Behörden zu übermitteln. Eine bereits bestehende CE-Kennzeichnung (Conformité Européenne) kann den Genehmigungsprozess deutlich erleichtern.
Internationale Pharmaunternehmen, die in Indien aktiv werden wollen, müssen die Vorgaben der CDSCO beachten und eine Marktzulassung durch die Einreichung von klinischen Studien und Produktunterlagen gemäß den indischen Richtlinien beantragen. Wichtig ist zudem die Einhaltung der guten Herstellungspraxis (GMP) sowie der Vorschriften zu Kennzeichnung, Verpackung und Preisen nach der Arzneimittelpreisverordnung (DPCO). Wie bei Medizinprodukten ist die Ernennung eines lokalen Bevollmächtigten für die Abwicklung der behördlichen Angelegenheiten notwendig. Liegt hier bereits eine Zulassungen vor, beispielsweise durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA), kann dies den Zulassungsprozess ebenfalls beschleunigen.
Internationalisierung
In so einem vielfältigen Land ist eine klare, kultursensible Kommunikation von zentraler Bedeutung. Erfahrene Fachübersetzerinnen und -übersetzer leisten dabei einen unverzichtbaren Beitrag: Sie übertragen Informationen zu Medizinprodukten, Arzneimitteln oder Gesundheits-Apps nicht nur präzise, sondern auch der Zielgruppe entsprechend – angepasst an die Bedürfnisse von Patientinnen und Patienten, medizinischem Fachpersonal und Behörden. Mit ihrer fachlichen Kompetenz und kulturellen Expertise unterstützen sie Unternehmen dabei, Inhalte wirksam und kontextgerecht zu vermitteln.
Für den indischen Markt spielen vor allem Englisch und Hindi eine zentrale Rolle, insbesondere in Wirtschaft, Verwaltung und im städtischen Alltag. Ein interessanter Aspekt dabei: Trotz der weiten Verbreitung ist Hindi nicht die offizielle Landessprache Indiens. Tatsächlich räumt die indische Verfassung keiner einzelnen Sprache diesen Status ein. Stattdessen sind 22 Sprachen offiziell anerkannt, darunter Bengali, Marathi, Tamil, Telugu und Urdu. Sechs von ihnen – Sanskrit, Tamil, Telugu, Kannada, Malayalam und Odia – tragen aufgrund ihres umfangreichen literarischen Erbes den besonderen Status einer „klassischen Sprache“.
Fazit
Der indische Gesundheitsmarkt bietet internationalen Unternehmen vielversprechende Chancen – besonders in den Bereichen Telemedizin, Diagnostik und Kardiologie, angetrieben die durch eine wachsende Mittelschicht und den Ausbau der Infrastruktur. Gleichzeitig stellen die komplexen regulatorischen Anforderungen, die Einholung von Einfuhrgenehmigungen und die Einhaltung lokaler Kennzeichnungsvorschriften Herausforderungen dar. Die Unterschiede in der Gesundheitsversorgung zwischen Stadt und Land machen zudem flexible Vertriebsmodelle notwendig, um einen breiteren Zugang zu ermöglichen.
Die Bandbreite an regionalen Sprachen erfordert eine zielgerichtete und angepasste Kommunikationsstrategie. Dabei ist die Übersetzung und Lokalisierung von Inhalten in wichtige regionale Sprachen unverzichtbar – nicht nur zur Erfüllung gesetzlicher Vorgaben, sondern auch, um unterschiedliche Zielgruppen, wie Patientinnen und Patienten sowie medizinisches Fachpersonal, effektiv zu erreichen. Entscheidend für den Erfolg in diesem vielfältigen Markt: ein mehrsprachiger Ansatz mit kulturellem Feingefühl.
Quellen
- https://www.education.gov.in/sites/upload_files/mhrd/files/upload_document/languagebr.pdf
- https://www.macrotrends.net/global-metrics/countries/ind/india/life-expectancy
- https://www.macrotrends.net/global-metrics/countries/deu/germany/life-expectancy
- https://www.macrotrends.net/global-metrics/countries/ind/india/infant-mortality-rate
- OECD/WHO (2024), Health at a Glance: Asia/Pacific 2024, OECD Publishing, Paris, https://doi.org/10.1787/51fed7e9-en.
- https://adipositas-gesellschaft.de/ueber-adipositas/praevalenz/
- https://www.bbc.com/news/articles/cj9n0420w8go
- https://hsph.harvard.edu/environmental-health/news/air-pollution-in-india-linked-to-millions-of-deaths/
- Selvaraj S, Karan K A, Srivastava S, Bhan N, & Mukhopadhyay I. India health system review. New Delhi: World Health Organization, Regional Office for South-East Asia; 2022.
- https://www.statista.com/outlook/hmo/digital-health/india
- https://data.worldbank.org/indicator/SH.XPD.CHEX.GD.ZS
- https://www.biomedcentral.com/epdf/10.1186/s12960-021-00575-2
- https://www.statista.com/outlook/hmo/medical-technology/medical-devices/india
Autor: Eurotext Redaktion
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