{"id":9225,"date":"2016-10-04T07:47:24","date_gmt":"2016-10-04T05:47:24","guid":{"rendered":"http:\/\/eurotext-ecommerce.com\/?p=3806"},"modified":"2019-11-25T10:36:41","modified_gmt":"2019-11-25T09:36:41","slug":"bilinguale-kindergaerten-ein-neuer-trend","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/eurotext.de\/blog\/bilinguale-kindergaerten-ein-neuer-trend\/","title":{"rendered":"Bilinguale Kinderg\u00e4rten – ein neuer Trend?"},"content":{"rendered":"

Zweisprachige Kinderg\u00e4rten<\/strong> und sogar -krippen sind keine neue Einrichtung. Allerdings ist es noch relativ neu, dass diese Kindertagesst\u00e4tten auch von Kindern besucht werden, die zu Hause nur Deutsch sprechen. Die Zahl der bilingualen Kitas in Deutschland hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht – das spricht f\u00fcr eine steigende Nachfrage<\/strong>.\u00a0 Um diese Entwicklung nachvollziehen zu k\u00f6nnen, m\u00fcssen wir erst einmal einen Blick auf die nat\u00fcrliche Zweisprachigkeit und den Hintergrund der bilingualen Kinderg\u00e4rten werfen. <\/p>\n

Nat\u00fcrliche Zweisprachigkeit und Kindergarten<\/h2>\n

Nat\u00fcrliche Zweisprachigkeit entsteht, wenn Eltern unterschiedliche Muttersprachen<\/strong> haben, aber beide mit dem Kind gesprochen werden. Wichtig ist dabei, dass jeder dabei mit dem Kind nur seine \u201eeigene\u201c Sprache spricht, sodass eine klare Sprachenzuordnung<\/strong> stattfinden kann. Das Kind lernt auf diese Weise beide Sprachen als Muttersprache<\/strong>, ganz nat\u00fcrlich und ohne bewusstes Lernen. Man nennt diese Art des Spracherwerbs auch Immersion<\/strong>, vom englischen Wort immerse<\/em> (=eintauchen), da man in die Sprache eintaucht. Sie wird im Alltag verwendet und so werden Vokabeln<\/strong> und Grammatik<\/strong> allm\u00e4hlich und fast automatisch verinnerlicht.<\/p>\n

Diese Lernmethode ist sehr erfolgreich, allerdings funktioniert sie am besten, wenn fr\u00fch damit begonnen wird. Menschen haben im Kindesalter ein Zeitfenster<\/strong>, in dem sie Sprachen auf muttersprachlichem Niveau\u00a0 erlernen k\u00f6nnen, das sich mit etwa 6 oder 7 Jahren wieder schlie\u00dft. Danach k\u00f6nnen nat\u00fcrlich noch Sprachen erlernt werden, aber der Lernprozess ist langwieriger, findet bewusst statt und Muttersprachenniveau<\/strong> kann selten erreicht werden. Hier setzen die bilingualen Kindertagesst\u00e4tten an, um eine k\u00fcnstliche Zweisprachigkeit bei Kindern aus einsprachig deutschen Familien zu erzeugen.<\/p>\n

Aber zur\u00fcck zum eigentlichen Nutzen der zweisprachigen Kinderg\u00e4rten. Ein Problem in vielen zweisprachigen Familien ist, dass die Kinder die schw\u00e4chere Sprache – in der Regel die Nichtumgebungssprache – seltener benutzen. Ein Beispiel: Der Vater ist Deutscher, die Mutter Japanerin. Der Vater spricht mit dem Kind Deutsch, die Mutter Japanisch. Die Familie lebt in Deutschland, also ist die Umgebungssprache<\/strong> Deutsch. Das Kind wird au\u00dferhalb der Familie mit der deutschen Sprache konfrontiert, auch in der einsprachigen Kindertageseinrichtung. Es spricht nur mit der Mutter und einigen wenigen anderen Sprachpartnern Japanisch, wird bald den Nutzen hinterfragen, und die Sprache eventuell sogar verweigern. Um das zu verhindern, wurden zweisprachige Kinderg\u00e4rten eingerichtet, in denen Kinder ihre schw\u00e4chere Sprache regelm\u00e4\u00dfig und mit Partnern au\u00dferhalb des famili\u00e4ren Umfelds sprechen k\u00f6nnen und somit beide Sprachen gef\u00f6rdert werden.<\/p>\n

Da ist allerdings noch ein Einsatzgebiet von zweisprachigen Kindertagesst\u00e4tten, das oft nicht beachtet wird. Beispielsweise gibt es viele Familien, in denen beide Elternteile die gleiche Sprache sprechen, die aber anders als die Umgebungssprache ist. Wenn also die Familiensprache<\/strong> T\u00fcrkisch ist und die Kinder zu Hause und in ihrem gesamten Umfeld nur T\u00fcrkisch sprechen, wird es zu einem Problem, wenn sie erst in der Schule mit der deutschen Sprache konfrontiert werden. Da reicht es nicht aus, dass die Familie in Deutschland lebt und die Kinder auf der Stra\u00dfe oder beim Einkaufen Deutsch h\u00f6ren. Auch der Ansatz, solche Kinder vor der Schule in eine einsprachig (deutsche) Kindertagesst\u00e4tte zu schicken, ist selten von Erfolg gekr\u00f6nt. Oft werden die Eltern dazu angehalten, auch zu Hause mit den Kindern Deutsch zu sprechen. Kinder merken allerdings schnell, wenn es k\u00fcnstlich ist – wenn die Eltern in einer f\u00fcr sie selbst fremden Sprache mit ihnen sprechen. Gerade bei j\u00fcngeren Kindern kann es dann zu einer doppelten Halbsprachigkeit<\/strong> kommen, dass sie also zwei Sprachen sprechen, aber keine davon richtig. Bilinguale Kitas verfolgen den Ansatz, dass die Kinder mit der Immersionsmethode mit der deutschen Sprache in Kontakt kommen, aber gleichzeitig Sprachpartner f\u00fcr ihre Familiensprache haben – denn nur, wenn die Muttersprache gest\u00e4rkt und gef\u00f6rdert wird, kann eine weitere Sprache gut aufgenommen werden. Dieses Konzept zeigt Erfolg: Kinder mit Migrationshintergrund<\/strong>, die eine solche Einrichtung besuchen, beherrschen bis zum Eintritt in die Grundschule die deutsche Sprache so gut, dass sie ohne Probleme am Unterricht teilnehmen k\u00f6nnen.<\/p>\n

K\u00fcnstliche Zweisprachigkeit<\/h2>\n

In den beiden oben vorgestellten F\u00e4llen ist der Besuch einer zweisprachigen Kindertagesst\u00e4tte<\/strong> nicht nur sinnvoll, sondern regelrecht empfehlenswert, doch wo liegt der Nutzen f\u00fcr deutsche Kinder in Deutschland, in der Kita eine zweite Sprache zu erlernen? Lange galt die Meinung, dass zweisprachige Kindern bessere kognitive F\u00e4higkeiten besitzen als einsprachige Kinder. Es gibt allerdings keine Langzeitstudien zu k\u00fcnstlicher Zweisprachigkeit<\/strong>, sodass dies weder best\u00e4tigt noch widerlegt werden konnte. Bewiesen ist jedoch, dass zum immersiven Lernen einer Sprache keine besonderen kognitiven F\u00e4higkeiten notwendig sind – es findet auch kein bewusstes Er-lernen statt. Eltern erhoffen sich f\u00fcr ihre Spr\u00f6sslinge vermutlich einfach bessere Chancen durch den fr\u00fchen Erwerb einer zweiten Sprache. Aus Angst, das recht enge Zeitfenster daf\u00fcr zu verpassen, beginnen sie immer fr\u00fcher mit der Fr\u00fchf\u00f6rderung<\/strong>. Mittlerweile werden sogar Englischkurse f\u00fcr Babys angeboten – \u00fcber den Sinn oder Unsinn solcher Ma\u00dfnahmen l\u00e4sst sich sicher streiten.<\/p>\n

Sollten sich Eltern – aus welchen Gr\u00fcnden auch immer – daf\u00fcr entscheiden, ihr Kind zur k\u00fcnstlichen Zweisprachigkeit zu erziehen, sollten sie dies auf keinen Fall selbst in die Hand nehmen. Kinder bemerken es, wenn Eltern k\u00fcnstlich eine Fremdsprache als Familiensprache einf\u00fchren wollen! Au\u00dferdem k\u00f6nnen sich bei Nicht-Muttersprachlern leicht Fehler einschleichen, die die Kinder dann \u00fcbernehmen. Aber auch die M\u00f6glichkeit der bilingualen Kindertagesst\u00e4tte ist mit Vorsicht zu genie\u00dfen – nicht immer sind sie wirklich zweisprachig! Einige Einrichtungen nennen ich schon bilingual, wenn nur einmal die Woche eine muttersprachliche Fachkraft kommt, um eine Stunde lang mit den Kindern eine andere Sprache zu sprechen. Oder wenn die Erzieher\/innen mit den Kindern fremdsprachliche Versionen der bekannten Kinderlieder singen und\/oder einzelne W\u00f6rter im Alltag einstreuen. So wird keine Zweisprachigkeit erreicht, sondern allenfalls das Einpr\u00e4gen und Abrufen von W\u00f6rtern und Liedern. Wirklich bilinguale Kitas bauen auch auf das Ein-Personen-Prinzip, wie es auch in nat\u00fcrlich zweisprachigen Familien praktiziert wird: Eine Person spricht immer dieselbe Sprache mit den Kindern, hier werden sinnvollerweise Muttersprachler<\/strong> eingesetzt. Wichtig ist auch, dass mindestens eine andere Person mit den Kindern Deutsch spricht, damit die Muttersprache nicht verloren geht.<\/p>\n

Auf die Frage, ob eine k\u00fcnstliche Zweisprachigkeit Kinder \u00fcberfordern kann, gibt es eine klare Antwort: Nein! Beim immersiven Sprachenlernen sind keine besonderen geistigen F\u00e4higkeiten n\u00f6tig, es wird nicht bewusst gelernt und es herrscht kein Zwang. Alles geschieht bei allt\u00e4glichen Abl\u00e4ufen und die Untermalung mit Mimik und Gestik erleichtert Kindern, die noch keine Sprachkenntnisse der Fremdsprache<\/strong> haben, die Eingew\u00f6hnung. Zudem haben Kinder sich schon immer f\u00fcr andere Sprachen interessiert oder sich selbst Geheimsprachen ausgedacht. Allerdings sollten sich Eltern bewusst sein, dass die in einer bilingualen Kita erworbene Sprache auch in der Schulzeit<\/strong> weiter gepflegt werden sollte. Leider setzt sich der Trend nicht fort und es gibt weit weniger zweisprachige Schulen als Kindertageseinrichtungen.<\/p>\n

Fazit<\/h2>\n

F\u00fcr nat\u00fcrlich zweisprachige Kinder sind bilinguale Kinderg\u00e4rten eine sinnvolle M\u00f6glichkeit, um ihre jeweils schw\u00e4chere Sprache zu st\u00e4rken und ihre Zweisprachigkeit zu unterst\u00fctzen. Sie bieten auch (einsprachig) deutschen Kindern eine M\u00f6glichkeit, mit relativ einfachen Mitteln eine zweite Sprache auf muttersprachlichem Niveau zu erlernen. Die Gr\u00fcnde f\u00fcr eine Entscheidung der Eltern, ihr Kind in eine solche Einrichtung zu schicken, m\u00f6gen vielf\u00e4ltig und nicht f\u00fcr jeden nachvollziehbar sein. Internationale Kitas<\/strong> vermitteln jedoch Neugier auf Fremdes statt Angst vor Anderem, was in unserer globalisierten Welt von unsch\u00e4tzbarem Wert ist.<\/p>\n

Quellen:<\/h2>\n