{"id":13941,"date":"2023-12-07T07:38:31","date_gmt":"2023-12-07T06:38:31","guid":{"rendered":"https:\/\/eurotext.de\/?p=13941"},"modified":"2024-11-11T08:13:07","modified_gmt":"2024-11-11T07:13:07","slug":"geschlechtergerechte-sprache-im-deutschen","status":"publish","type":"post","link":"https:\/\/eurotext.de\/blog\/geschlechtergerechte-sprache-im-deutschen\/","title":{"rendered":"Geschlechtergerechte Sprache im Deutschen \u2013 Teil 1"},"content":{"rendered":"
Die Frage nach der geschlechtergerechten Sprache im Deutschen<\/a> hat in den letzten Jahren eine Debatte ausgel\u00f6st, die so facettenreich und kontrovers ist wie die Sprache selbst. Die Diskussion um die sprachliche Darstellung der Geschlechter hat viele Meinungen, Emotionen und auch Skepsis hervorgerufen. In einer Zeit, in der die Werte der Gleichheit und Vielfalt immer mehr an Bedeutung gewinnen, steht die Art und Weise, wie wir sprechen und schreiben, im Mittelpunkt einer wichtigen gesellschaftlichen Debatte. In diesem Artikel m\u00f6chten wir die Diskussionen zu diesem Thema in der deutschen Sprache aufgreifen und ihre Anwendbarkeit auf den E-Commerce und professionelle \u00dcbersetzungen er\u00f6rtern.<\/p>\n Der geschlechtergerechte Sprachgebrauch ist in Deutschland<\/a> vor allem unter dem Begriff “Gendern” bekannt, einer eingedeutschten Wortbildung aus dem Englischen, die sich auf den Begriff gender<\/em> (engl. Geschlecht) bezieht. \u201eGender\u201c wurde in den Sozialwissenschaften eingef\u00fchrt, um die sozialen, kulturellen und psychologischen Unterschiede zwischen M\u00e4nnern und Frauen zu bezeichnen, die \u00fcber die biologischen Unterschiede wie Chromosomen, Hormone und Fortpflanzungsorgane hinausgehen. Es wird davon ausgegangen, dass Individuen im sozialen Kontext von fr\u00fchester Kindheit an in eine bestimmte Geschlechterrolle eingef\u00fchrt werden, die auf gesellschaftlichen Normen, Erwartungen und Werten basiert und definiert, was f\u00fcr M\u00e4nner oder Frauen angemessen oder typisch ist. Dieser Sozialisationsprozess beeinflusst, wie Individuen ihre Geschlechtsidentit\u00e4t entwickeln und wie sie sich in Bezug auf Geschlechterrollen verhalten. Die Erkenntnis, dass geschlechtsspezifisches Verhalten nicht biologisch determiniert ist, sondern im sozialen Kontext an Menschen herangetragen wird, hat eine breitere Diskussion \u00fcber Geschlechtergerechtigkeit, Frauenrechte und LGBTQ+-Themen er\u00f6ffnet und das Bewusstsein f\u00fcr die Vielfalt von Geschlechtsidentit\u00e4ten und -ausdr\u00fccken gesch\u00e4rft.<\/p>\n Obwohl Gendern in einem allgemeinen Sinn die Ber\u00fccksichtigung oder Analyse des Geschlechteraspekts meint, wird der Begriff im Deutschen synonym f\u00fcr einen geschlechterbewussten Sprachgebrauch verwendet, der die Gleichbehandlung der Geschlechter in der geschriebenen und gesprochenen Sprache zum Ausdruck bringen will.<\/p>\n Aber warum gibt es \u00fcberhaupt so viele Bem\u00fchungen, den Sprachgebrauch zu \u00e4ndern? Was ist problematisch an der Art und Weise, wie wir seit jeher sprechen? Kritisiert wird vor allem der Gebrauch des generischen Maskulinums<\/strong>. Darunter versteht man die Verwendung grammatikalisch m\u00e4nnlicher Personen- oder Berufsbezeichnungen, z.B. “Lehrer”, um sich generisch, also verallgemeinernd, auf alle Personen zu beziehen, unabh\u00e4ngig von ihrem biologischen Geschlecht. W\u00e4hrend das weibliche grammatikalische Geschlecht bei Personenbezeichnungen einen einzigen spezifischen Wert hat und nur Frauen bezeichnet, z. B. die “Lehrerinnen”, hat das m\u00e4nnliche Geschlecht einen doppelten Wert: a) spezifisch, indem es sich auf das m\u00e4nnliche Geschlecht bezieht (\u201edie Lehrer\u201c, gemeint sind nur die m\u00e4nnlichen Lehrkr\u00e4fte), und b) generisch, indem es beide Geschlechter einschlie\u00dft (\u201ealle Lehrer\u201c, gemeint sind alle Lehrkr\u00e4fte, unabh\u00e4ngig von ihrem Geschlecht). Bei gemischtgeschlechtlichen Gruppen, z.B. 70 Lehrerinnen und 30 Lehrer, werden nach grammatikalischen Regeln alle Personen unter der m\u00e4nnlichen Form \u201edie Lehrer\u201c abstrahiert.<\/p>\n Auch wenn dieser Sprachgebrauch lange Zeit unkritisch verwendet wurde und historisch als grammatikalisch korrekt gilt, gibt es sp\u00e4testens seit der Auseinandersetzung mit dem Thema in den feministischen Studien seit den 1970er Jahren Bestrebungen, das generische Maskulinum zu vermeiden. Es wird argumentiert, dass dieser Sprachpraxis ein androzentrischer Ansatz zugrunde liegt, der M\u00e4nner als Referenten und Frauen als Abh\u00e4ngige betrachtet und Frauen damit ausschlie\u00dft und unsichtbar macht. Die Grammatik trage somit zur Aufrechterhaltung von Ungleichheiten bei, da Frauen unbewusst lernen, unsichtbar zu sein und nur einen provisorischen Platz in der Gesellschaft und der Sprache einzunehmen.<\/p>\n Es wird auch vermutet, dass diese Praxis Auswirkungen auf die Realit\u00e4t hat, insbesondere auf die mentalen Vorstellungen, die wir aktivieren, wenn wir eine Personenbezeichnung h\u00f6ren. Beispielsweise wird die Verwendung von Begriffen wie “Arzt” oder “Lehrer” oft automatisch mit der Vorstellung eines m\u00e4nnlichen Subjekts assoziiert. Dies reduziert die Anzahl der Frauen, an die wir uns erinnern, und kann dazu f\u00fchren, dass bestimmte Berufe oder Rollen als geschlechtsspezifisch wahrgenommen werden, was wiederum die individuelle Entscheidungsfindung und die beruflichen M\u00f6glichkeiten beeinflussen kann. In diesem Sinne wird geschlechtergerechte Sprache auch als Mittel zur St\u00e4rkung von Frauen und zur F\u00f6rderung ihrer Pr\u00e4senz in verschiedenen Kontexten, von der Wissenschaft \u00fcber die Politik bis hin zur Arbeitswelt, gesehen. Im Sinne einer geschlechtergerechten Sprache von “Forscherinnen und Forschern” zu sprechen, tr\u00e4gt dazu bei, die tats\u00e4chliche Vielfalt der Menschen in diesen Positionen zu repr\u00e4sentieren und ihre Sichtbarkeit zu erh\u00f6hen.<\/p>\n Dies gilt auch f\u00fcr die explizite Ansprache verschiedener Geschlechtsidentit\u00e4ten jenseits der bin\u00e4ren Vorstellung von Mann und Frau. Traditionelle Sprachformen bieten oft nur eingeschr\u00e4nkte M\u00f6glichkeiten, Menschen unabh\u00e4ngig von ihrem Geschlecht oder ihrer Geschlechtsidentit\u00e4t sichtbar zu machen. Die Anpassung der Sprache soll sicherstellen, dass alle Menschen respektvoll und inklusiv angesprochen werden k\u00f6nnen. Im Bem\u00fchen um eine geschlechtergerechte Sprache wird daher das generische Maskulinum zunehmend infrage gestellt und alternative Formen diskutiert, die alle Geschlechter repr\u00e4sentieren.<\/p>\n Auch wenn im Zentrum der Genderdebatte die Kritik am generischen Maskulinum steht, ist eine geschlechtergerechte Sprache auch das Ablehnen sexistischer oder stereotyper \u00c4u\u00dferungen, wie z.B. \u201eDu l\u00e4ufst wie ein M\u00e4dchen\u201c, Begriffen wie \u201ePutzfrau\u201c und \u201eM\u00fcllmann\u201c oder auch metaphorischen Konzepten wie \u201eMutter Natur\u201c.<\/p>\n In der Diskussion um einen geschlechtergerechten Sprachgebrauch, der das generische Maskulinum meidet, gibt es noch keine einheitlichen und verbindlichen Regeln, aber es gibt verschiedene Grunds\u00e4tze und Empfehlungen, die den Gebrauch einer inklusiven Sprache erleichtern k\u00f6nnen.<\/p>\n Eine g\u00e4ngige Praxis ist die doppelte Nennung der weiblichen und m\u00e4nnlichen Form<\/strong>, insbesondere bei der Anrede, die durch einen Schr\u00e4gstrich verk\u00fcrzt werden kann, z.B. “Leserinnen und Leser”; “Leserinnen\/Leser”, “Leser\/-innen”. Eine weniger bekannte Form, die eher kritischen Charakter hat, ist die Verwendung des generischen Femininums<\/strong>, in der die grammatikalisch feminine Form von Personenbezeichnungen genutzt wird, um sich auf gemischtgeschlechtliche Gruppen zu beziehen, z.B. \u201eAlle Lehrerinnen\u201c um sich auf alle Lehrkr\u00e4fte, jeglichen Geschlechts zu beziehen. Obwohl bei diesen beiden Formen M\u00e4nner und Frauen gleicherma\u00dfen angesprochen werden sollen, werden alle Geschlechtsidentit\u00e4ten jenseits von Mann und Frau nur “mitgemeint”, aber nicht direkt angesprochen.<\/p>\n Um dieses Problem zu umgehen, hat sich die Verwendung spezifischer Gender-Zeichen<\/strong> zwischen m\u00e4nnlicher und weiblicher Endung durchgesetzt, die eine explizitere Hervorhebung unterschiedlicher Geschlechtsidentit\u00e4ten erm\u00f6glichen. So kann zwischen der m\u00e4nnlichen und der weiblichen Form ein Unterstrich oder ein Doppelpunkt gesetzt werden, der sogenannte Gender Gap<\/strong> (z.B. “Leser_innen”; “Leser:innen”), ein Asterisk<\/strong>, auch Genderstern genannt (z.B. “Leser*innen”), oder wortinterne Gro\u00dfschreibung mit Binnen-I<\/strong> verwendet werden, z.B. “LeserInnen”. Diese Form soll die Vielfalt geschlechtlicher Identit\u00e4ten ber\u00fccksichtigen und sichtbar machen, da die Sonderzeichen als Platzhalter f\u00fcr alle dienen, die sich weder dem weiblichen noch dem m\u00e4nnlichen Geschlecht zuordnen.<\/p>\n Die Verwendung von Gender-Zeichen ist in der Diskussion um geschlechtergerechte Sprache nicht unumstritten. Ein h\u00e4ufig ge\u00e4u\u00dferter Kritikpunkt bezieht sich auf die Lesbarkeit und \u00c4sthetik von Texten, in denen solche Zeichen verwendet werden. Es wird argumentiert, dass sie den Lesefluss st\u00f6ren und das Erscheinungsbild von Texten un\u00fcbersichtlich machen. Die Frage der Aussprache ist ebenfalls ein Punkt der Unsicherheit, da es keine einheitlichen Regeln gibt, wie diese Zeichen ausgesprochen werden sollen. Dar\u00fcber hinaus wird die Verwendung von Gender-Zeichen sowie die doppelte Nennung von kritischen Stimmen als unn\u00f6tige Verkomplizierung und Verl\u00e4ngerung der Sprache empfunden, was Bedenken hinsichtlich der Verst\u00e4ndlichkeit und Erschwerung der Kommunikation aufwerfen kann.<\/p>\n Eine Alternative zur expliziten Hervorhebung des Geschlechts durch Doppelnennungen oder die Verwendung von Gender-Zeichen ist die Verwendung geschlechtsneutraler Begriffe<\/strong> (z.B. “Mensch”, “Person”, “Mitglied”, “Gast”), von Sachbezeichnungen<\/strong> (z.B. “Staatsoberhaupt”, “Leitung”, “Kollegium”) oder von Substantivierungen<\/strong> mit Partizip I, Partizip II und Adjektiven im Plural, z.B. “die Studierenden”, “die Gew\u00e4hlten”, “die Verwitweten”. Es gibt auch Bem\u00fchungen, statt der m\u00e4nnlichen Form die geschlechtsneutrale Form mit einem Adjektiv<\/strong> zu bilden, z.B. \u201everfasst von\u201c statt \u201eVerfasser\u201c oder \u201efachkundiger Rat\u201c statt \u201eRat eines Fachmanns\u201c. Auch die direkte Anrede<\/strong> kann verwendet werden, z.B. \u201eBitte schreiben Sie eine Antwortmail\u201c statt \u201eKunden werden gebeten, eine Antwortmail zu schreiben\u201c. Eine weitere Alternative ist die Verwendung von Passivkonstruktionen<\/strong> wie \u201eEs ist Folgendes zu beachten\u201c statt \u201eKunden m\u00fcssen Folgendes beachten\u201c oder Relativs\u00e4tzen<\/strong> wie \u201eAlle, die teilnehmen\u201c statt \u201eAlle Teilnehmer\u201c.<\/p>\n Die Diskussion \u00fcber die Vor- und Nachteile der verschiedenen Formen des Genderns h\u00e4lt an. Manche Menschen bevorzugen eine klare, gut lesbare Sprache und empfinden bestimmte Varianten des Genderns als st\u00f6rend oder \u00fcbergriffig. Andere argumentieren, dass geschlechtsneutrale oder explizit inklusive Formulierungen notwendig sind, um alle Menschen unabh\u00e4ngig von ihrem Geschlecht oder ihrer Geschlechtsidentit\u00e4t angemessen anzusprechen und zu repr\u00e4sentieren und damit Marginalisierung und Diskriminierung zu vermeiden. Die Debatte um geschlechtergerechte Sprache ist weit mehr als eine sprachliche Anpassung, sie spiegelt tiefgreifende Ver\u00e4nderungen in unserer Gesellschaft wider. Mit der Anpassung der Sprache soll versucht werden, die politischen und gesellschaftlichen Ver\u00e4nderungen in Bezug auf Geschlechteridentit\u00e4ten, Gleichberechtigung und Vielfalt aufzunehmen und auszudr\u00fccken. Geschlechtergerechte Sprache ist somit ein Spiegel sich ver\u00e4ndernder gesellschaftlicher Normen und ein Impulsgeber f\u00fcr das Streben nach einer inklusiveren Gesellschaft.<\/p>\n Die Anwendung geschlechtergerechter Sprache ist ein komplexes Thema, eng verkn\u00fcpft mit sozio-kulturellen Bestrebungen. Ein inklusiver Sprachgebrauch wird als Alternative und als eines der vielf\u00e4ltigen Mittel innerhalb der Gleichstellungspolitik vorgeschlagen, um eine umfassende Gleichstellung aller Geschlechter zu erreichen. Die zahlreichen Formen und Empfehlungen zur Verwendung einer inklusiven Sprache zeigen, dass ein Sprachwandel nicht zwangsl\u00e4ufig kompliziert ist. Es geht vielmehr darum, sich an neue Konstruktionen zu gew\u00f6hnen oder kreativ zu werden.<\/p>\n Zusammenfassend l\u00e4sst sich festhalten, dass die Anwendung geschlechtergerechter Sprache im Deutschen zu Beginn dieses Umbruchs zwar einen gewissen Mehraufwand mit sich bringt, jedoch nicht au\u00dfer Acht gelassen werden sollte, dass Sprache ein m\u00e4chtiges Werkzeug in der Debatte um Gerechtigkeit, Diversit\u00e4t und Inklusion darstellt. Beim Einsatz geschlechtergerechter Sprache geht es prim\u00e4r um die Hervorhebung geschlechtsspezifischer Anliegen. Beachtet wird jedoch auch die Wechselwirkung mit anderen Formen von Diskriminierung, wie Rassismus, Klassismus, Heteronormativit\u00e4t oder Ableismus. So besteht die konstante Forderung nach einer Sprache, die wahrlich inklusiv ist und den Menschen sowie seine W\u00fcrde in den Mittelpunkt stellt.<\/p>\n Im n\u00e4chsten Teil<\/a> wollen wir untersuchen, welche Rolle geschlechtsneutrale Sprache im E-Commerce<\/a> spielt und was man bei \u00dcbersetzungen in andere Sprachen beachten muss.<\/p>\nDebatte um den geschlechtergerechten Sprachgebrauch<\/h2>\n
Formen des geschlechtergerechten Sprachgebrauchs im Deutschen: Vor- und Nachteile<\/h2>\n
Fazit<\/h2>\n
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